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Beruflich wie privat: Warum es so wichtig ist, immer wieder neu anfangen zu können

Beruflich wie privat: Warum es so wichtig ist, immer wieder neu anfangen zu können Attila Albert

Zu den wichtigsten Fähigkeiten im Umgang mit Herausforderungen und Rückschlägen gehört, sich nicht ewig mit Reue, Vorwürfen und der Vergangenheit aufzuhalten. Sondern anzugehen, was sich noch ändern lässt. Coach Attila Albert mit persönlichen Erfahrungen dazu.

Berlin – Vor einem Jahr saß ich, versehentlich eine halbe Stunde zu früh zum Ostergottesdienst gekommen, in unserer Kirche und spielte noch ein wenig mit meinem Handy herum. Da ausreichend Zeit war, nutzte ich die Gelegenheit, einige Feiertagsgrüße per WhatsApp zu verschicken. Bei jemandem, der mir dabei in den Sinn kam, zögerte ich: Bei meinem Vater, den ich seit mehr als 40 Jahren – der Scheidung meiner Eltern – nicht mehr gesehen hatte und der, neu verheiratet, seitdem keinen Kontakt mehr wollte. Einige Male hatte ich ihm in all den Jahren geschrieben, auch einmal angerufen, aber es blieb ohne Gegeninteresse.

 

Das hatte mich lange enttäuscht und verletzt, wütend gemacht und an mir selbst zweifeln lassen. Schließlich lernte ich, damit zu leben und zu akzeptieren, wie es nun einmal war. Doch in der Kirche überlegte ich, damals vor einem Jahr, halb im Scherz: Was würde Jesus tun? Die Antwort war mir klar: Nicht siebenmal vergeben, sondern siebzigmal so oft (Matthäus 18, 22). Also schluckte ich meine Verärgerung und meinen Stolz hinunter und schickte auch ihm einen kurzen Ostergruß. Zu meinem Erstaunen kam von meinem Vater, der bisher nie geantwort hatte und nicht mal meine Nummer wollte, eine Nachricht zurück.

 

Darauf konzentrieren, was sich noch ändern lässt

Zu den wichtigsten Fähigkeiten im beruflichen und privaten Leben gehört, immer wieder neu anfangen zu können, was bisher auch vorgefallen ist. Sich nicht ewig mit Verlusten, Enttäuschungen und Schuldzuweisungen aufzuhalten, sondern sich darauf zu konzentrieren, was sich unter den Gegebenheiten noch machen lässt. Ostern, das christliche Fest der Auferstehung und jahreszeitlicher Neuanfang nach den kalten, dunklen Monaten, ist eine gute Gelegenheit, sich daran zu erinnern. (Ausführliche Empfehlungen dazu finden Sie in meinem Ratgeber „9 Wahrheiten, die dich durchs Leben tragen“)

 

Mein Vater schrieb in seiner kurzen Antwort, dass man sich doch einmal treffen könne, als wäre ihm diese Idee erst jetzt gekommen. Vielleicht bei seinem Sohn aus zweiter Ehe, der gar nicht weit von mir wohne. Dessen Namen kannte ich, aber eine Google-Suche hatte nie zu etwas geführt. Mit dem Wissen seines Wohnortes fand ich meinen Halbbruder sofort auf LinkedIn und schickte ihm eine Nachricht. Er antwortete umgehend und auch erfreut. Wir verabredeten uns direkt für den Folgetag – beide aufgeregt, gespannt und ein wenig besorgt, dass das erste Kennenlernen peinlich oder enttäuschend verlaufen könnte.

 

Nichts davon war der Fall. Mein inzwischen 37-jähriger Halbbruder, der auch erst spät von meiner Existenz erfahren und danach nie den ersten Schritt gewagt hatte, stellte sich als herzlicher, intelligenter und humorvoller Mann heraus. Beidseitig haben wir unsere Puzzleteile der Vergangenheit verglichen, sprachen bald aber mehr über unsere heutigen Interessen und Zukunftspläne. Später kamen noch seine Frau und ihr kleiner Sohn dazu. Als wir uns nach zweieinhalb Stunden verabschiedeten, beschlossen wir, zukünftig jeweils ein Teil des Lebens des anderen zu sein und sind seitdem in Kontakt geblieben.

 

Manchmal braucht es viel Geduld

Für das erste Wiedersehen mit meinem Vater brauchte es noch ein weiteres halbes Jahr. Im vergangenen Herbst trafen wir uns schließlich zu zweit. 70 Jahre war er inzwischen, jünger wirkend, und in vielem noch so, wie ich ihn aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte. Die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit noch groß zu besprechen, machte für mich keinen Sinn mehr. Dafür hatte ich die problematische Ehe meiner Eltern und sein Verhalten danach zu gut in Erinnerung, auch lange genug selbst darüber nachgedacht. Die knappen Erklärungen, die ich bei unserem Treffen dazu hörte, waren ausweichend und dürftig.

 

Mehr interessiert mich, was für ein Mensch er war und wie sein Leben verlaufen war. So waren wir etwas essen, er bestand darauf, mich einzuladen, danach spazieren. Auf meine Bitte hatte er einige Familienfotos, seinen Stammbaum und Zeichnungen – damals und heute sein Hobby – mitgebracht. Wir sahen uns gemeinsam ein Kloster in der Nähe an, er wollte mich fotografieren. So fehlbar er als Ehemann und Vater gewesen war, konnte ich doch seine sonstige Lebensleistung anerkennen. Seit dem Abschied sind wir ebenfalls weiter in Kontakt und wollen uns im Sommer mit weiteren Verwandten wiedersehen.

 

Annehmen, was man sich nicht ausgesucht hat

Warum erzähle ich diese Geschichte? Weil ich weiß, dass ein Neuanfang oft überfällig und doch schwierig ist, praktisch wie emotional. Im beruflichen Kontakt: Nach dem Scheitern eines wichtigen Projektes, nach dem Burnout oder einer Entlassung. Im Privaten: Nach einer Trennung, einem Konkurs, einer schweren Erkrankung oder einem Todesfall. All das gehört zum Leben, wenn man sich solche Erfahrungen auch selbst nicht wünscht und ihren Wert höchstens sehr viel später erkennen und annehmen kann. Fast immer beginnt dieser Prozess mit der Frage: Was lässt sich jetzt noch ändern, Gutes daraus machen?

 

Von vielen Medienprofis, mit denen ich als Coach zusammenarbeite, weiß ich, welchen Herausforderungen sie beruflich und privat begegnet sind. Manche Erfolgsgeschichte ist, bespricht man sie einmal gemeinsam ganz offen, unter den wahrscheinlichsten Umständen und trotz vieler Rückschläge zustande gekommen. Was auch immer Sie am liebsten hinter sich lassen würden: Sie können sicher sein, dass andere Ähnliches bereits erlebt und bewältigt haben. Das heißt, Sie können das ebenso schaffen, wenn Sie das Unabänderbare hinter sich lassen und das Machbare angehen, ohne unnötig Zeit zu verlieren. 

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Weiterbilden, aber richtig

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.