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Die Flucht der jungen Leistungsträger: Warum Medienprofis mit Mitte 30 schon wieder gehen

Die Flucht der jungen Leistungsträger: Warum Medienprofis mit Mitte 30 schon wieder gehen Attila Albert

Früh Karriere gemacht, bald aber erschöpft, frustriert und enttäuscht. Auffällig viele junge Medienprofis verlassen die Branche nach einigen Jahren bereits wieder, während ihre Chefs und älteren Kollegen bleiben. Mediencoach Attila Albert schreibt über Gründe und individuelle Auswege.

Berlin – Seit ich 1989 meinen ersten redaktionellen Artikel schrieb, damals 17 Jahre alt, habe ich die Berufs- und Lebenswege viele Branchenkollegen mitverfolgen können. Einige von ihnen standen damals schon am Ende ihrer journalistischen Karriere. Andere haben ihre erst vor wenigen Jahren begonnen. Was mir beim Blick über diese drei Jahrzehnte auffällt: Wie viele junge Medienprofis (Ende 20 bis Ende 30) heute die Branche bald wieder verlassen, obwohl sie zu den Leistungsträgern gehören. Mit großen Anstrengungen haben sie Führungspositionen erreicht – und geben sie freiwillig auf, oft erschöpft und enttäuscht.

 

Mancher war erkennbar zu früh befördert worden, fachlich und mehr noch persönlich überfordert, insbesondere unvorbereitet auf interne Konflikte und Widerstände. Doch auch die Arbeitsbedingungen sind heute problematischer: Zu viele, oft monotone Nebentätigkeiten (z. B. Beiträge für unterschiedliche Plattformen aufarbeiten, Agenturfotos zuschneiden, Newsletter betreuen, Social Media). Die Stellenprofile sind vielfach so überdehnt, dass die Arbeit nicht mehr abwechslungsreich ist, sondern überfordert. Beispiel: Der Fachredakteur, der tageweise aber auch Ressortleiter und CvD („Balkendienst“) sein soll, damit pausenlos die Rolle wechselt. Dazu ein mäßiges Gehalt, wenige Perspektiven.

 

Enttäuscht von vermeintlicher Startup-Kultur

Unerfahrene, eher idealistische Berufsanfänger lassen sich häufig von einer vermeintlichen Startup-Kultur - unkonventionelle Büromöblierung, lockerer Umgangston - anlocken und stellen fest, dass sie doch in einem klassischen Konzern gelandet sind. Sie müssen sich in die vorhandene Organisation mit ihren Abläufen einpassen, anstatt sie verändern zu können. Viele Ideen werden zerredet oder verschleppt. Firmenpolitik spielt eben doch eine Rolle, nicht unbedingt das beste Argument. Der Chef will im Zweifel lieber nichts riskieren und führt im Streitfall unerwartet autoritär, obwohl man sich duzt und befreundet glaubte.

 

„Journalist zu sein, war und bleibt ein spannender Beruf. Aber das heutige Ökosystem lässt die Menschen und Mitarbeiter im Stich“, schrieb dazu beispielsweise gerade der 31-jährige Janosch Tröhler in seinem (auf Englisch verfassten) Branchenabschied. „Es läuft alles auf einen Mangel an Vertrauen in die Mitarbeiter und eine fehlende Vision und Strategie zur Ausrichtung der Bemühungen hinaus.“ Er war zehn Jahre im Schweizer Journalismus (u.a. SRF, „Blick“) tätig. Den Journalismus werde er sicher vermissen, nicht aber das System, das ihn heute produziert. Er arbeitet jetzt bei einem Software-Unternehmen.

 

Grundsatzkritik bringt nicht weiter

An dieser Stelle ist die Versuchung groß, die beliebten, allerdings meist völlig realitätsfernen Forderungskataloge an Unternehmen und Führungskräfte zu wiederholen. Damit sammelt man zwar auf LinkedIn und in 10-Punkte-Essays viele Sympathiepunkte, löst aber das Problem nicht. Die Arbeitgeber agieren selbst nicht frei, sondern inmitten unzähliger Abhängigkeiten, komplexer Strukturen und in einem rückläufigen Markt. Dem einzelnen Betroffenen, der vor wichtigen persönlichen Entscheidungen steht, empfiehlt sich ein pragmatischerer Ansatz: Bestandsaufnahme und aktualisierte Zukunftsplanung.

 

Wer sich ständig erschöpft und überlastet fühlt, sollte die Ursache dafür möglichst genau eingrenzen. Ich empfehle Zurückhaltung bei medizinischen Selbstdiagnosen („Habe sicher bald ein Burnout“, „Mein Chef ist ein Narzisst“), so populär sie sind. Eine professionelle Abklärung im Verdachtsfall ist sinnvoll. Notieren Sie aber auch die Zahl Ihrer wöchentlichen Arbeitsstunden inklusive Zusatzarbeiten daheim, Ihre unterschiedlichen Auftraggeber im Unternehmen und deren Wünsche, die Zahl der täglichen Mail-Eingänge. So sehen Sie, ob die Menge, Art oder Vielzahl Ihrer Aufgaben Sie überlasten.

 

Nehmen Sie Ihr Unwohlsein mit bestimmten Aufgaben, Personen oder Tendenzen im Unternehmen ernst. Beispiel: Es frustriert Sie, wohin sich die Redaktionslinie politisch oder ideologisch bewegt hat. Das heißt nicht, dass Sie deswegen sofort wechseln müssten, zeigt Ihnen aber, worauf Sie bei eventuellen Alternativangeboten achten sollten. Je mehr Ihnen Ihr bevorzugter Arbeits- und Führungsstil (z. B. lieber autoritär oder partizipativ) klar ist, desto besser verstehen Sie, was Sie belastet und besser zu Ihnen passt. Befreien Sie sich dabei davon, was aktuell gerade angesagt ist. Finden Sie Ihren eigenen Stil.

 

Selbstständigkeit oder in ein Startup

Sehr unternehmerisch und frei denkende Angestellte fühlen sich in klassischen Medienjobs ständig ausgebremst, vom fließbandartigen Tagesgeschäft und ihren Chefs blockiert. Zwar gibt es Anstrengungen, solchen Kollegen mehr Freiräume zu schaffen. Im aktuellen „kress pro“ finden Sie dazu im Dossier interessante Gedanken. Doch oft ist der Wechsel in ein echtes Startup die bessere Lösung, am besten als Mitgründer oder Beteiligter. Hier ist die Jugend ein Vorteil: Sie können mehr riskieren, wenn Sie noch keine eigenen Kinder und einen Hauskredit abzuzahlen haben.

 

Selbstständigkeit ist eine interessante Option, wenn Ihr Angebot spezialisiert genug ist, um sich dem Preisverfall für journalistische Standardleistungen (z. B. Interviews und Reportagen für die Tagespresse) zu entziehen. Vielversprechender sind Corporate-Publishing-, B2B- und Marketing-Content, technische und produktbezogene Dienstleistungen sowie ausgewählte Beratungsangebote. Der typische Kompromiss für den Anfang: Eine sichere Teilzeitstelle für Ihre grundlegenden Kosten (Miete, Versicherungen), daneben eine tageweise Selbstständigkeit als Zuverdienst mit dem Potenzial zur Vollzeittätigkeit.

 

Branchenwechsel ist nicht ehrenrührig

Selbstverständlich ist es auch nicht ehrenrührig, die Mediengattung oder ganz die Branche zu wechseln. Unzählige ehemalige Journalisten arbeiten inzwischen in anderen Berufen. Persönlich weiß ich u.a. von heutigen PR- und Projektmanagern, Lehrern, Ladenbesitzern, Friseuren, Floristen, Archivaren und mehr. Hier ist entscheidend, das bisherige berufliche Kapitel für sich sauber abzuschließen. Wollen Sie noch ein wenig im Medienbereich bleiben (z. B. gelegentlich einen Gastbeitrag schreiben), lieber ganz aufhören? Es wäre schade, wenn der Neubeginn von heimlicher Reue und Verbitterung überschattet wäre.

 

Das gilt insbesondere für weibliche Medienprofis, die sich frustrierenden Erfahrungen am Arbeitsplatz dezenter als ihre männlichen Kollegen entziehen können: Durch die maximale Elternzeit mit anschließender Minimal-Teilzeit (20 oder 40 Prozent). Dieser Entscheid hat immer auch persönliche und praktische Gründe, was Kinderbetreuung und Arbeitsteilung innerhalb der Partnerschaft angeht. Er sollte aber bewusst erfolgen, nicht als heimliches, sozial akzeptiertes Ausweichen. Analog muss man vielen männlichen Medienprofis sagen: Sie brauchen keinen Therapeuten, sondern einen neuen Job.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Krisen als Chance nützen

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.

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