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Ratlos nach dem Vorstellungsgespräch: Wenn Medienhäuser ihre eigenen Stellen schlechtreden

Ratlos nach dem Vorstellungsgespräch: Wenn Medienhäuser ihre eigenen Stellen schlechtreden Attila Albert

Manche Bewerbungen verlaufen irritierend: Der mögliche neue Arbeitgeber scheint selbst abzuraten. „Wollen Sie wirklich hier arbeiten“, hört man da vielleicht. „Finden Sie nichts Besseres?“ Mediencoach Attila Albert über typische Gründe und wann es sinnvoll ist, trotzdem zuzusagen.

Berlin – Eine langjährige Ressortleiterin, die ihren bisherigen Arbeitgeber verlassen musste, hatte sich bei einem Industrieunternehmen als Senior Manager Media Relation beworben. Doch das Bewerbungsgespräch verlief ernüchternd. Eigentlich solle sie nur Texte für den Geschäftsführer schreiben, dessen Powerpoint-Präsentation überarbeiten und die Produktbroschüren pflegen. An ihren Ideen für die Medienarbeit war man nicht interessiert. Die HR-Vertreterin meinte: „Das ist eine ganz operative Tätigkeit. Wir wollen aktuell nichts verändern.“ Die Redakteurin war ratlos: Hatte man ihr indirekt abgeraten, dort anzufangen?

 

Die Stellensuche führt Medienprofis manchmal zu einer irritierenden Erfahrung: Das Unternehmen, bei dem man sich beworben hat, redet die ausgeschriebene Position selbst schlecht. „Wollen Sie wirklich hier arbeiten“, hört man da vielleicht ganz unerwartet im Bewerbungsgespräch. „Finden Sie nichts Besseres mit Ihren Qualifikationen?“ Oder gar: „Haben Sie das wirklich nötig?“ Der mögliche zukünftige Vorgesetzte sagt eventuell resigniert: „Hier können Sie sowieso nichts bewegen.“ Wer gerade nach Arbeit sucht, fragt sich zu Recht: Ist es sinnvoll, solch eine Bewerbung überhaupt weiterzuverfolgen?

 

Zeichen, die auf interne Probleme hindeuten

  • Verschiedene Gründe können hinter einem derartigen Verhalten eines potenziellen neuen Arbeitgebers stecken. Sie deuten mehrheitlich auf interne Probleme hin:
  • Die Stelle wurde übertrieben attraktiv dargestellt. Es handelt sich in Wahrheit um reine Routineaufgaben, die für geistig rege, engagierte Bewerber bald ermüdend und öde wären. Das Unternehmen fürchtet, dass er schnell wieder gehen würde.
  • Das Unternehmen hat keinen Platz für besonders kreative, dynamische Mitarbeiter, auch wenn die eigene PR etwas anderes behauptet. Sie würden – aus Firmensicht – die bisherigen Abläufe durcheinander bringen und die Produktivität senken.
  • Die Beteiligten im Unternehmen sind sich uneinig oder gar untereinander zerstritten, was der kommende Mitarbeiter z. B. tun und wem er zugeordnet werden sollte. Diese Spannungen treffen den Bewerber, obwohl der daran keinerlei Schuld hat.
  • Derjenige, der das Bewerbungsverfahren durchführt, hat selbst aufgegeben und plant seinen Ausstieg. Zwar gibt er sich noch professionell, drückt durch derartige Bemerkungen aber unbewusst seine Frustration und Enttäuschung aus.
  • Die negativen Bemerkungen über die Stelle oder das Unternehmen sind ein wenig eleganter Versuch, den Bewerber durch gezielte Provokation zu testen: Würde er trotz der absehbaren Desillusionierung die Stelle annehmen und bleiben?
  • Man vermutet, dass der Bewerber nichts anderes gefunden hat und nur deshalb Interesse vorgibt. Gleichzeitig traut man ihm nicht zu, sich pragmatisch einzufügen, die Arbeit solide zu erledigen und zumindest drei bis fünf Jahre zu bleiben.

 

Mancher will wirklich nur einen Job

Grundsätzlich rächt es sich hier, jede Stelle als angeblich bedeutsam, interessant, abwechslungsreich und erfüllend darzustellen, nur um dann einräumen zu müssen, dass das gar nicht zutrifft. Dabei gibt es viel Medienprofis, die tatsächlich nur einen Job wollen: die notwendige Arbeit erledigen, dafür angemessen bezahlt werden, ohne darin gleich den persönlichen Lebenssinn oder Familienersatz zu suchen. Leider gilt dieser früher ganz normale Ansatz heute fast schon als zweifelhaft. So bauschen Unternehmen auch die unspektakulärste Position auf und müssen sich dann korrigieren, wenn es konkret wird.

 

Ehrlicherweise gibt es viele Stellen, bei denen Dynamik, Innovation oder Originalität nicht gewünscht werden, sogar stören würden. Bewerber, die etwas verbessern oder sich weiterentwickeln wollen, passen hier nicht hinein, weil das Unternehmen damit nicht umgehen könnte. Die Pose der Veränderung wird gern gesehen, etwa einige folgenlose Sprüche auf der Webseite oder Linkedin, aber bitte keine echten Umbrüche mit allen ihren Konsequenzen. In diesen Fällen ist es eine unbeholfene Form des Erwartungsmanagents, einen Bewerber auf die Realitäten im Unternehmen hinzuweisen. Das ist desillusionierend, erlaubt aber wenigstens die persönliche Entscheidung, ob man damit leben könnte. (Wenn Sie regelmäßig als angeblich „überqualifiziert“ abgelehnt werden, bewerben Sie sich möglicherweise tatsächlich auf die falschen Stellen. Mehr zu dieser Situation hier.)

 

Unrealistische Stellenprofile als Warnzeichen

Neben den Äußerungen in Vorstellungsgesprächen sind angespannte, aggressive oder zynische Gesprächspartner ein typisches Warnzeichen. Gelegentlich kommt es vor, dass sich die Angestellten eines Unternehmens offen vor dem Bewerber streiten oder bissig korrigieren, und die HR-Vertretung versucht zu beschwichtigen. Das erinnert nicht zufällig an eine dysfunktionale Familie. Ebenfalls typisch: Ausschreibungen, bei denen die Stellentitel erkennbar zu hoch gegriffen sind (z. B. ein „Manager“, der aber ein Berufsanfänger sein soll) oder komplett überdehnte, unrealistische Stellenprofile.

 

Beispiel: Ein Verlag suchte kürzlich einen„ Marketingmanager inklusive Produktentwicklung“. Die Aufgaben umfassten laut Ausschreibung: Betreuung der Print- und Digital-Produkte sowie des Gesamtprogramms von der Idee über die Produktion bis zur Einführung und darüber hinaus (Medienarbeit, Messen, Events); Autorenmanagement mit Vertrags- und Manuskript-Betreuung; Konzeption, Kalkulation und Umsetzung neuer Produkte inklusive Verantwortung der Wirtschaftlichkeit. In Wahrheit also: Zusätzlich zum Marketing auch Redakteur, Lektor, Produktmanager, Controller sowie PR- und Event-Manager.

 

Jedem mit ein wenig Praxiserfahrung ist klar, dass derartige Ansprüche fast zwingend dazu führen müssen, dass sich der Bewerber entweder aufreibt und bald wieder geht – oder im Job scheitert. Hat ein Vorgesetzter mehrmals Derartiges durchlaufen, bekommt aber trotzdem kein Budget für mehr Mitarbeiter, wird er unweigerlich zynisch und kündigt zumindest schon innerlich. Ein Bewerber, der in dieser Phase vorspricht, bekommt damit eine unschöne Seite dieses Unternehmens zu sehen. Soll man deswegen die Bewerbung zurückziehen? Wie immer ist das eine Frage der eigenen Belastbarkeit und Alternativen. Manchmal muss man trotzdem zusagen und behaupten, dass einem all das überhaupt nichts ausmache, sollte dann aber zumindest in der Probezeit aktiv weitersuchen.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Sprachstreit in Redaktionen

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.

 

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