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Ständig mit anderem beschäftigt: Wenn Medienprofis sich selbst vergessen

Ständig mit anderem beschäftigt: Wenn Medienprofis sich selbst vergessen Attila Albert

Beruflich belastet, familiär eingespannt, privat abgelenkt: Mancher Medienprofi vergisst dabei seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Langfristig schadet das, sagt Mediencoach Attila Albert. Schon kleine Schritte helfen, sich neue Perspektiven und Freiräume zu schaffen.

Berlin – Eine Ressortleiterin hatte schwierige Jahre hinter sich. Ihre Redaktion war wiederholt verkleinert worden und hatte gleichzeitig die Verantwortung für mehr Titel erhalten. Viele ihrer Mitarbeiter waren erst in Kurzarbeit, später häufig krank. Das bedeutete mehr Arbeit für sie. Gleichzeitig versorgte sie noch ihre Mutter und hatte selbst gesundheitliche Probleme. Schließlich kam der Tag, den sie befürchtet und dennoch erwartet hatte: Der Verlag strich ihre Stelle, kündigte ihr und stellte sie per sofort frei. Für sie war das Schock und Erlösung zugleich: Befreit von einer erschöpfenden Last, aber wie sollte es weitergehen?

In vielen Verlagen wurden und werden erneut Stellen abgebaut. Bei großen Medienhäusern – Gruner und Jahr, RTL, Springer, Burda, Bauer – öffentlich stark beachtet, bei kleineren und mittleren Unternehmen weniger. Spreche ich mit betroffenen Medienprofis, die gerade die Konditionen ihres Ausscheidens verhandeln oder ein Abfindungsangebot erwägen, höre ich auffällig häufig ein Resigniertes: „Ich hatte schon lange genug.“ Zwar zeigen sich Fassungslosigkeit, Trauer und Wut, aber auch Erleichterung. Nun hat der Arbeitgeber die überfällige Entscheidung getroffen, für die man selbst nicht den Mut hatte.

Im engeren Gespräch ergibt sich vielfach, dass die Arbeits- und Lebensumstände für diese Medienprofis eigentlich seit Jahren nicht mehr tragbar waren. Sie waren für alle anderen da, sind Pflichten und Forderungen nachgekommen – und haben sich dabei selbst vergessen. Mancher bereut nun, nicht mehr für sich getan zu haben: Nicht genug auf die eigene Gesundheit und Erholung geachtet, zu wenig für das persönliche Profil (Sichtbarkeit, Weiterbildung) und Netzwerk in der Branche getan zu haben. Solch eine späte Einsicht schmerzt, kann aber Anlass für den Entschluss sein, es zukünftig anders zu machen.

Falsch verstandene Einsatzbereitschaft
An sich zu denken ist Einstellungssache, erfordert nämlich, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche nicht ständig anderen unterzuordnen. Nicht aus Egoismus, sondern als Teil der Selbstfürsorge, um gesund und handlungsfähig zu bleiben. Falsch verstandene, ständig einseitige Einsatzbereitschaft schadet Ihnen – und wird meist nicht einmal gedankt, sondern bald als Selbstverständlichkeit oder gar Schwäche ausgelegt (z. B. als Angestellter ständig die personellen oder organisatorischen Fehlplanungen des Arbeitgebers ausgleichen). Wer sich so verhält, lebt oft mit dem Gefühl, nicht mehr erwarten und verlangen zu dürfen.

„Du bist in Ordnung, so wie du bist, und du kannst so bleiben. Wer das für sich akzeptiert und damit seinen Wert anerkennt, kann sich auch abgrenzen“, heißt es zu diesem Aspekt in meinem Buch „Ich mach da nicht mehr mit“. „Damit ist dir klar, dass deine Bedürfnisse nicht weniger wichtig sind als die anderer.“ Das betrifft beispielsweise Medienprofis, die ständig freiwillig und unbezahlt die Unterbesetzung in der Redaktion ausgleichen oder nicht wagen, mehr Gehalt zu fordern oder eben zu wechseln, während ihr Arbeitgeber erneute Umsatz- und Gewinnsteigerungen meldet und der CEO den nächsten Bonus erhält.

Eigene Interessen im Blick behalten
Neben der Einstellung, neuerdings gern auch mit dem englischen Begriff Mindset benannt, müssen allerdings immer auch praktische Voraussetzungen erfüllt sein. „Grenzen zu setzen muss man sich leisten können“, heißt es dazu in meinem Ratgeber. „Wer zwingend auf einen bestimmten Job angewiesen ist, weil er sich weder woanders bewerben noch umziehen kann oder will, muss alles hinnehmen, was der Chef sagt.“ Oft spreche ich mit Medienprofis, die „unbedingt ihren Job wechseln“ wollen, weil sie es „nicht mehr aushalten“, aber im ersten Gespräch sagen: „Weniger verdienen oder den Arbeitsort kann ich aber nicht. Eine neue Probezeit kann ich ebenso nicht riskieren.“

Für jeden dieser Aspekte gibt es Gründe: Finanzielle und familiäre Verpflichtungen sowie eine übergroße Angst vor dem Scheitern. Aber langfristig führt dieser Ansatz dazu, dass Sie am aktuellen Arbeitsplatz alles hinnehmen müssen. Nicht wenige Arbeitgeber ausprobieren systematisch durch, was Sie sich gefallen lassen (z. B. immer ungünstigere Bürosituation und Schichtdienste, mehr Arbeit bei gleichem Gehalt, gekürztes Urlaubs- und Weihnachtsgeld kürzen, gestrichene Extras). Daher sollten Sie, bei allem Engagement und der Freude an der Arbeit, nie ganz die eigenen Interessen aus dem Blick verlieren.

Praktische Voraussetzungen schaffen
Wer viel leisten muss und zudem bereits recht erschöpft ist, neigt dazu, nur noch das Zwingende abzuarbeiten und ansonsten zu hoffen, dass wenigstens der nächste Urlaub etwas Entlastung bringt – oder unerwartete Rettung von außen kommt (z. B. das ideale Jobangebot, das alles ändert). Mit kleinen Veränderungen im Alltag können Sie aber bereits viel bewegen, vergrößern zudem Ihre Selbstbestimmung und Zuversicht.

  • Überlastung erkennen und handeln: Überfordert Ihr Alltag Sie ständig, täuschen Sie sich nicht selbst damit, dass es angeblich nur „im Moment“ zu viel wäre. Phasen der Hochbelastung ist normal (z. B. während einer berufsbegleitenden Weiterbildung oder mit kleinen Kindern). Fühlen Sie sich aber länger als zwei bis drei Jahre überfordert, sollten Sie Verantwortung abgeben, Vorhaben aufgeben, sich mehr Hilfe suchen.
  • Optionen nutzen, gerade wenn es wenige sind: Überlastete Medienprofis haben oft tatsächlich wenig Handlungsspielräume, machen aber meist den Fehler, diese auch noch beiseite zu wischen. Nutzen Sie besser kleine Möglichkeiten, anstatt zu bedauern, dass Sie aktuell keine großen haben. Beispiel: Weniger allgemeine Diskussionen auf LinkedIn, dafür mehr persönliche Branchenkontakte pflegen.
  • Realistische Zeithorizonte: In belastenden Situationen neigen viele Menschen dazu, überfällige Entscheidungen immer wieder hinauszuschieben („bis die Kinder aus dem Haus sind“, „bis das Haus abbezahlt ist“). Setzen Sie sich Fristen, wie lange Sie noch wie bisher weitermachen wollen. Unterscheiden Sie bei allen Planungen, womit Sie sicher rechnen können und was gar nicht von Ihnen zu beeinflussen ist.
  • Eigene Gefühle reflektieren: Achten Sie darauf, welcher emotionalen Verfassung Sie sich überlassen. Negative Gefühle wie Frustration oder Verärgerung haben ihren Platz, sollten Sie aber selbst in schwierigen Lebensphasen nicht bestimmen, weil positive Veränderungen dadurch schwieriger werden. Versuchen Sie, immer etwas zu finden und zu tun, bei dem Sie sich inspiriert, begeistert und gestärkt fühlen.
  • Zeit für die eigene Zukunft: Selbst der Vielbeschäftigste kann 1-2 Stunden pro Woche in die berufliche und persönliche Weiterentwicklung investieren. Nutzen Sie sie für gezieltes Netzwerken in der Branche, vor allem wenn Sie lange beim selben Arbeitgeber waren und extern wenig vernetzt sind. Dazu: Das regelmäßige Gespräch mit einem Mentor, Coach oder Personalberater sowie fortlaufende Bewerbungen.
  • Generellen Weg überdenken: Im Alltag ist oft wenig Gelegenheit dazu, aber ein- bis zweimal im Jahr sollten Sie reflektieren, wohin es grundsätzlich für Sie gehen soll und ob Sie auf dem richtigen Weg sind. Ferienzeiten und Feiertage bieten sich dafür an, werden aber meist mit anderen Aktivitäten und damit Ablenkungen gefüllt. Eine gute Alternative dafür sind stille Wochenende, Workshops oder Seminare.
  • Alltagsfluchten begrenzen: Wer erschöpft, frustriert oder gelangweilt ist, flüchtet sich oft in den schnellen Trost und in die Ablenkung, weil eine echte Lösung zu schwierig oder unmöglich scheint. Begrenzen Sie das (z. B. Nutzung sozialer Medien, Urlaube, wahllose Weiterbildungen). Nutzen Sie die freiwerdenden Ressourcen lieber dafür, sich eine tragfähige neue Perspektive zu schaffen.


Kurswechsel lohnt sich auch über 40
Wenn Sie gerade erwägen, die Stelle oder sogar den Arbeitgeber zu wechseln: Überlegen Sie nicht ewig, ohne etwas zu entscheiden und anzugehen. Konkretisieren Sie, was Ihnen für den nächsten Schritt fehlt (z. B. Klarheit, Kontakte) und kümmern Sie sich darum. Liegt Ihnen ein Abfindungsangebot vor oder gibt es bei Ihrem Arbeitgeber aktuell ein entsprechendes Programm: Lassen Sie den Nettobeitrag und den möglichen Anspruch auf Arbeitslosengeld ausrechnen, planen Sie aber vor allem, wie es danach weitergehen soll. Wurden Sie gerade entlassen: Kurzes Durchatmen und Trauern, dann ebenso aktiv werden.

Selbst mit Anfang 40 oder Mitte 50 lohnt sich ein Kurswechsel noch. Sowohl wegen der verlängerten Regelarbeitszeit (bis 67 Jahre) als auch, weil viele Medienprofis planen, noch darüber hinaus zumindest gelegentlich weiterzuarbeiten, etwa als freie Autoren, Berater oder Dozenten. Auch privat, in Beziehung und Familie, braucht es diese Kompetenzen: Eine Balance zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen anderer finden, Grenzen setzen, ohne schlechtes Gewissen aussprechen, was Sie nicht mehr wollen oder können. Gerade wenn Sie lange für andere da waren, darf es nun endlich mehr um Sie gehen.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Führungskarriere

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.