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Ständig unbezahlte Überstunden: So wehren sich Journalistinnen und Journalisten

Ständig unbezahlte Überstunden: So wehren sich Journalistinnen und Journalisten Mediencoach Attila Albert

Für acht Arbeitsstunden pro Tag bezahlt, aber zehn bis zwölf Stunden beschäftigt: Viele Medienprofis machen ständig unbezahlte Überstunden. Manche aus Angst vor Konsequenzen, andere aus Leidenschaft für ihren Beruf. Mediencoach Attila Albert sagt, wie Sie sich davon befreien.

Berlin – Der Redakteur einer großen Regionalzeitung war nur noch erschöpft. Seit langem arbeitete er wöchentlich mehr als 60 Stunden, wobei keine Überstunde mehr bezahlt oder mit Freizeit abgegolten wurde. Wer sich darüber beschwerte, hörte Worthülsen („Prioritäten setzen“, „besser organisieren“). Wer genauer nachfragte oder diskutierte, bekam die unverhohlene Drohung, dass man auf unwillige Mitarbeiter auch ganz verzichten könne. Selbst während der angeblichen „Corona-Kurzarbeit“ lief der Dienst weitgehend regulär weiter. Nur wurden dann viele Aufgaben eben nach Hause – in die Kurzarbeiter- bzw. Freizeit – verlegt.

 

Ähnlich stellt sich die Situation in vielen Redaktionen dar. Weniger Stellen im Kernteam, dazu ersatzloses Streichen von begleitenden Positionen. Entfallen sind z.B. Korrektoren und Content-Manager (Übertrag vom Print- ins Online-CMS, Fotorecherche und -schnitt, Keywords, Metadaten, Newsletter), Fotoredakteure, Archivare und Sekretärinnen. Deren Aufgaben blieben aber weiterhin notwendig – und wurden den verbliebenen Mitarbeitern zusätzlich übergeben. Da die vertragliche Arbeitszeit unverändert ist, hat das zwei Folgen: Eine enorme Verdichtung des Arbeitstages und ständige Überstunden.

 

Gesetzlich acht Arbeitsstunden pro Tag

Das deutsche Arbeitszeitgesetz ist relativ eindeutig: Montag bis Samstag darf höchstens acht Stunden pro Tag gearbeitet werden (Pausen zählen separat). Damit grundsätzlich maximal 48 Stunden pro Woche. Vorübergehend sind bis zu zehn Stunden pro Tag zulässig, wobei die durchschnittliche Arbeitszeit – über sechs Monate gerechnet – trotzdem weiterhin bei höchstens acht Stunden pro Tag liegen darf. Das heißt: Arbeitsspitzen müssen auch wieder ausgeglichen werden. Mehr als zehn Stunden pro Tag sind als vertragliche Vereinbarung möglich, wenn ein wesentlicher Teil davon Bereitschaftsdienst (auf Abruf) ist.

 

Im redaktionellen Alltag lassen sich derart scharfe Abgrenzungen allerdings oft nur schwer vornehmen. Sie widersprechen auch dem Selbstverständnis vieler Journalisten und der praktischen Organisation der Arbeit. Beispiel aus einer aktuellen Print-Redaktion: Um 9 Uhr ist die erste Themenkonferenz. Redakteure müssen damit etwa eine Stunde vorher kommen, um die Lage zu sichten, ihre Angebote anzurecherchieren und zu schreiben. Die Seitenfreigabe ist aber erst 19.30 Uhr. So ergeben sich immer zwölf Stunden Arbeitszeit (8 bis 20 Uhr), zwar mit Leerlaufzeiten, die sich jedoch kaum als Freizeit nutzen lassen.

 

Inzwischen fahren viele Newsrooms längst sich überlappende Schichtdienste, um einen Zeitraum von 6 bis 23 Uhr abzudecken. Das stellt Journalisten beispielsweise vor die Wahl, eine halbfertige Geschichte einem Kollegen zu übergeben. Wer sich mit seinem Beitrag identifiziert und ihn selbst fertigstellen möchte, tut das dann unbezahlt in seiner Freizeit. Ähnlich geht es Journalisten, die mit organisatorischen oder technischen Aufgaben voll ausgelastet sind (z.B. als CvD oder Homepage-Manager). Wollen sie auch einmal eine Reportage oder ein Interview schreiben, geht das nur nach ihrem Dienstschluss.

 

Bei der Gewerbeaufsicht gemeldet

Häufig reagiert das Management ablehnend und versucht lange, die Überlastung an sich zu bestreiten oder spiegelt vor, Prioritäten zu definieren, verweigert sich aber praktisch („Das hat alles Priorität 1!“). Echte Prioritäten setzen voraus, dass einige Aufgaben als zwingend eingestuft werden, andere als wünschenswert und manche als so nachrangig, dass sie auch entfallen können. Wer nur umsortiert, aber nie streichen will, setzt keine Prioritäten, sondern belügt sich und andere. Sind die Fakten nicht mehr zu bestreiten, wechseln Manager nicht selten zu einer Stil-Diskussion: Der „Ton“ der Beschwerde ist plötzlich das Problem.

 

In einigen Redaktionen fühlten sich Mitarbeiter zu etwas gedrängt, was eigentlich eine grobe Illoyalität darstellt: Sie informierten die örtliche Gewerbeaufsicht über die ständigen Verstöße gegen die Höchstarbeitszeit bei ihrem Arbeitgeber. Dagegen sind Bußgelder pro überschrittener Stunde und Arbeitnehmer vorgesehen, bei beharrlichen Verstößen Geldbußen und bis zu einem Jahr Haft. Es wird dann zwar exakt darauf geachtet, dass keiner mehr länger als acht Stunden arbeitet, sogar die Zeiterfassung („Stechuhr) wieder eingeführt. Aber das Betriebsklima ist vergiftet, wer als „Verräter“ bekannt wird, fliegt schnell raus.

 

Dabei sind sich die Redaktionen intern oft nicht einig. In einem Team können ganz unterschiedliche Einschätzungen vorliegen. Beispiel: Ein Redakteur mit Altvertrag für 5500 Euro monatlich (brutto) nimmt die Überstunden hin, weil er sie in seinem Gehalt noch eingeschlossen sieht. Für seinen Kollegen, für 2900 Euro über eine Tochterfirma angestellt, sieht die Rechnung viel ungünstiger aus. Und ein weiterer Kollege, Pauschalist für 2650 Euro, will möglichst weniger als acht Stunden arbeiten. Bei ihm ist die Summe nicht nur geringer, sondern zudem noch kein Einkommen, sondern erst einmal nur Umsatz.

Lage ermitteln, hart verhandeln

 

Wer sich dagegen wehren will, sollte zuerst seine Lage möglichst objektiv feststellen: Die echten Arbeitszeiten fortlaufend protokollieren und alle Arbeitsanweisungen zu Überstunden archivieren (E-Mails speichern, Gespräche kurz notieren). Danach einmal den eigenen Arbeitstag zeitlich skizzieren – welche festen Termine wie Konferenzen und Schlusszeiten stehen fest, wo sind noch eventuelle organisatorische Schwächen oder Leerläufe? Sehen Sie sich auch im Detail an, wie die Arbeitszeiten und Überstunden im Gesetz, im Tarif- oder Haustarifvertrag und in Ihrem Arbeitsvertrag geregelt sind.

 

Als nächstes sollten Sie die Lage mit Ihrem Vorgesetzten besprechen. Durchaus klar und konsequent, aber ohne eine unnötig frühe Konfrontation, die Ihnen nur schaden würde. Hier geht es vor allem darum, festzustellen, ob Ihr Anliegen ernst genommen und Ihr Vorgesetzter Willens und in der Lage ist, etwas für Sie zu tun. Ein guter Weg ist es, in einem Teamworkshop alle Aufgaben mit dem ungefähren Zeitbedarf zusammenzustellen, die Machbarkeit zu diskutieren und zu entscheiden, was zukünftig nicht mehr erledigt werden soll oder ausgelagert werden könnte (Budget dafür muss beantragt werden).

 

Wenn all das nicht möglich ist, bleiben nur individuelle Konsequenzen: Nicht noch weiter leiden oder sich in Krankschreibungen flüchten, sondern aktiv eine berufliche Alternative angehen, so lange Sie noch die Kraft dafür haben. Ihr Profil klären und schärfen, eine Idee für Ihre nächste Stelle oder eine Selbstständigkeit erarbeiten und angehen. Die Firma mag weiterhin so arbeiten wollen, aber dann ohne Sie.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne:  Zu wenige Aufträge, kein neuer Job

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.