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Bessere Allgemeinbildung: Wie Journalisten davon profitieren, ständig dazuzulernen

Bessere Allgemeinbildung: Wie Journalisten davon profitieren, ständig dazuzulernen Attila Albert

Naturwissenschaften, Technik, Geschichte und Wirtschaft sind feste Elemente der Berichterstattung. Doch viele Medienprofis tun sich hier bereits schwer mit Grundbegriffen und -konzepten. Mediencoach Attila Albert rät, das eigene Allgemeinwissen fortlaufend zu erweitern.

Berlin – Wenn Frankreich seine Parkflächen mit Solarzellen überdachen würde, könnten diese so viel Strom wie zehn Kernkraftwerke erzeugen. Diese Meldung, ursprünglich aus der Washington Post, übernahmen kürzlich auch viele deutschsprachige Medien. Durchweg unterlagen die Beiträge jedoch demselben Denkfehler: Sie setzten die installierte Leistung (was wird verbaut) mit der Nennleistung (was wird geliefert) gleich. Bei Solaranlagen ein Unterschied von 90 Prozent, weshalb im Artikel korrekt gewesen wäre: Sie könnten ein – nicht zehn – Atomkraftwerk ersetzen, und das nur tagsüber, wenn die Sonne scheint.

 

Eine Petitesse, könnte man meinen, die nur Fachleute interessiert. Allerdings sollten nach mehr als 20 Jahren Berichterstattung über die Energiewende zumindest die Grundbegriffe und -konzepte klar sein. Doch es fällt auf, wie viele Sachfehler sich heute gerade in Beiträgen finden, die Naturwissenschaften, Technik, Geschichte und Wirtschaft betreffen. Doch ausreichendes Allgemeinwissen ist notwendig, um gedanklich und sprachlich präzise sein zu können. Nur damit lassen sich, auch ohne Kenntnis aller Details, die Behauptungen anderer zumindest grob einordnen: Kann das denn sein?

 

Leser bzw. Nutzer profitieren von Beiträgen, die ein Grundverständnis des Themas zeigen, die Medienhäuser wiederum in Bezug auf ihre Wahrnehmung. Der einzelne Medienprofi steigert mit guter Allgemeinbildung die Qualität seiner Beiträge und macht sich von den Einflüsterungen anderer unabhängiger. Nicht zuletzt nützt es bei Konversationen und dem eigenen Ruf, um sich nicht aus Unkenntnis um Kopf und Kragen zu reden. Der Blick in die aktuellen Medien zeigt allerdings leider häufig ein anderes Bild – und das, obwohl heute fast alle Journalisten einen Bachelor- oder Masterabschluss vorweisen.

 

Fachkundige Qualitätsprüfung fehlt vielerorts

Hier einige wahllose Beispiele, die mir in den vergangenen Tagen auffielen. Ich verlinke sie absichtlich nicht, um niemanden bloßzustellen. Sie sollen illustrieren, wie dringlich eine fachkundige redaktionelle Qualitätsprüfung in diesen Themengebieten vielerorts wäre und wie hilfreich der Blick selbst in die eigenen alten Schulbücher.

  • Auf einer Newsseite las ich im Digital-Ressort, das Display eines Handymodells habe 90 oder 120 Hz „Auflösung“. Schon die Einheit hätte misstrauisch machen müssen, wenn man sich nur ein wenig an den Physikunterricht erinnert: Hertz (Hz) gibt sich wiederholende Vorgänge an. Beim Handy ist das die Bildwiederholrate pro Sekunde. Die Auflösung wird dagegen in Bildpunkten (englisch: Pixel) angegeben.
  • Ein Magazin mit touristischem Schwerpunkt nennt Kreuzfahrtschiffe konsequent „Ocean Liner“. Aber wie der Name hier schon sagt, handelt es sich bei letzterem um Linienschiffe, die regelmäßig den Ozean überqueren. Kreuzfahrtschiffe fahren dagegen auf wechselnden Routen und überqueren den Ozean höchstens beim Saisonwechsel. Sie sind daher auch schlanker und robuster gebaut.
  • Die Berichterstattung über Waldbrände und Rodungen erweckt regelmäßig den Eindruck, Bäume würden Sauerstoff „ausatmen“. Das stimmt allerdings nur halb: Tagsüber nehmen sie Kohlendioxid auf und geben Sauerstoff ab (Photosynthese), nachts dagegen genau umgekehrt (Zellatmung). Das sprachliche Bild von Wäldern als „grüne Lungen“ ist doppelt schief, Lungen verbrauchen Sauerstoff.
  • Im Erklärvideo eines Wissenskanals ging es um angeblich mittelalterliche Folterwerkzeuge wie die „Eiserne Jungfrau“ und die „Mundbirne“. Nur gehört zum Allgemeinwissen, dass diese weder mittelalterlich sind noch zur Folter benutzt wurden. Sie wurden meist erst im 19. Jahrhundert gebaut und schon damals eher für die Unterhaltung gutgläubiger Touristen in Folter- und Heimatmuseen.
  • Ein Militärflugzeug wurde in einem Artikel als „Jet“ beschrieben. Allerdings waren auf dem dazugehörigen Foto klar Propeller zu sehen. Damit handelt es nicht um einen Jet, denn diese werden mit einem Strahltriebwerk („Düse“) angetrieben. Nebenbei wurde das Flugzeug der falschen Armee zugeschrieben, wie fachkundige Leser anhand des Modells und seiner Beschriftung feststellten.

Die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen. Ernährungstipps gegen angebliche (nicht existente) „Schlacken“ im menschliche Körper, Berichte über vermeintliche „Handystrahlen“ (die höchstens Wellen sein können, weil sie elektromagnetisch arbeiten), Fehlkalkulationen bei Prozentrechnungen oder dem Verständnis einer Statistik. Bei all dem handelt es sich nicht um Flüchtigkeitsfehler, sondern um ein erkennbar fehlendes Grundverständnis des Sachverhaltes – weshalb der Fehler gar nicht auffiel. Doch das muss nicht so bleiben. Die eigene Allgemeinbildung lässt sich immer verbessern und aktualisieren.

 

Blick in die früheren Schulbücher lohnt sich
Einige einfache Wege dafür sind: Lesen Sie regelmäßig Sachbücher, die nicht um eine These herum gestrickt sind, sondern sachlich erklären. Auch die früheren Schulbücher, gebraucht noch einmal gekauft, lohnen eine erneute Lektüre. Oft kommt die Erinnerung zurück: „Ach ja, das habe ich doch mal gewusst!“ Sehr sinnvoll ist es, die Wikipedia-Artikel und nicht nur frühere News-Artikel zum Thema zu lesen. Sie geben einen guten Überblick, klären Grundbegriffe und -zusammenhänge. Gehen Sie gelegentlich zu Fachvorträgen und Veranstaltungen an der lokalen Universität oder Volkshochschule.

 

Selbst auf TikTok und unter den YouTube Shorts finden sich, bei insgesamt leider miserabler Beitragsqualität, informative Kanäle zum Thema, wenn auch schon wegen der Kürze tendenziell immer zu oberflächlich und banal. Immerhin verhindern einige gezielte Abos auf diesen Plattformen, völlig von seichter Unterhaltung geflutet zu werden. Ebenso gibt es eine Vielzahl von Podcasts, Lern- und Wissens-Apps, die jedoch häufig ebenso auf unterhaltsame Darbietung und leichte Kost setzen. Meine Empfehlung daher: Mit klassischen Büchern ist die Ablenkung am geringsten und lernen Sie am meisten.

 

Wenn immer zeitlich möglich, sollte jeder redaktionelle Beitrag von einem fachkundigen Experten auf dem jeweiligen Gebiet auf eventuelle Irrtümer und Missverständnisse geprüft werden. Da naturwissenschaftliche, technische, historische und wirtschaftliche Aspekte fortlaufend die Berichterstattung prägen, lohnt sich für Redaktionen auch die Suche nach entsprechend ausgebildeten Mitarbeitern bzw. Bewerbern. Entweder mit passenden Studienabschlüssen (z. B. Chemie, Physik, Biologie, Maschinen- oder Anlagenbau, Ingenieurwissenschaften) oder auch Facharbeiter- oder Handwerksabschluss.

 

Bei Allgemeinbildung geht es nicht darum, jedes Detail zu wissen, sondern um ein Grundverständnis, um Details bewerten und einorden zu können. Dabei ist es wichtig, auch die bisherige Entwicklung ein wenig zu kennen. Beispiel: Wer die gewaltigen, bisher häufig nicht eingelösten Versprechen der Künstlichen Intelligenz in den vergangenen 80 Jahren zumindest grob kennt, verfällt bei ChatGPT weder in Euphorie noch Panik. Statt den nächsten Meinungsartikel dazu zu lesen, könnten Sie mehr darüber lernen, was Daten genau sind, wie sie eingeteilt und verarbeitet werden. So können Sie bald substanzieller mitreden – und die Blender und Könner besser voneinander unterscheiden.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Freie mit zu wenig Umsatz

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.