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Journalistinnen und Journalisten auf Social Media: Wenn die Öffentlichkeit zur Belastung wird

Journalistinnen und Journalisten auf Social Media: Wenn die Öffentlichkeit zur Belastung wird Mediencoach Attila Albert

Viel Aufmerksamkeit und interessante Diskussionen, aber auch emotionaler Stress, Beleidigungen, Unterstellungen und Drohungen. Medienprofis machen zwiespältige Erfahrungen auf Social Media. Mediencoach Attila Albert sagt, wie Sie für sich das richtige Maß an Öffentlichkeit finden.

Berlin – Ein Großteil der Journalisten, vor allem diejenigen von aktuellen und politischen Medien, ist selbstverständlich auf den großen Social-Media-Plattformen aktiv. Es hat natürlich etwas Bestätigendes, auch dort das Wort zu führen: Vor eigenem Publikum öffentliche Kritik oder Maßregelungen auszusprechen, hier eine Forderung zu erheben, dort ein Lob zu verteilen. Reizvoll, so lange man sich von der Mehrheitsmeinung unterstützt sieht – und sehr unangenehm, wenn man selbst das Opfer derartiger öffentlicher Schnellurteile wird. Im Coaching spreche ich inzwischen oft mit Medienprofis, die letzteres erlebt haben.

 

Drei Situationen sind dabei besonders häufig: Eine generelle Erschöpfung wegen der generell nie endenden Streitereien, Angriffe und Verteidigungen. Der Eindruck, wegen der vertretenen Ansichten persönlich in die Enge getrieben zu werden, typischerweise durch Beleidigungen, Unterstellungen und Drohungen anderer Nutzer. Oder sogar die Furcht, durch fortlaufende und koordinierte Angriffe auf die eigene Kompetenz und Glaubwürdigkeit bis zur Existenzgefährdung bedroht zu sein. In letzterem Fall setzen sich diese Aktivitäten über Social Media hinaus in Blogs, Foren, Wikipedia-Artikeln und Diskussionsrunden fort.

 

Plattform bereits vorhanden

Generell gilt: Man kann nicht das eine ganz ohne das andere haben. Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, kann davon ausgehen, nie nur auf der Gewinnerseite zu stehen. Hier sind Journalisten in der gleichen Lage wie die Politiker, Stars, Sportler und Influencer, über die sie sonst berichten. Gleichzeitig mit einem entscheidenden Unterschied: Ein Journalist hat bereits ein Plattform mitsamt Publikum, nämlich das Medium, für das er arbeitet und das bereits eigene Social-Media-Kanäle betreibt. Er hat daher eigentlich einen viel geringeren Bedarf als andere Berufsgruppen, sich zusätzlich persönlich zu exponieren.

So empfiehlt sich, sehr überlegt auszuwählen, wo und vor allem warum Sie dabei sind. Je ehrlicher Sie das über Standardaussagen („am Diskurs beteiligen“, als Marke sichtbar sein) hinaus für sich beantworten, desto effektiver und zielführender werden Ihre Entscheidungen sein. Wollen Sie sich als Experte zeigen, um einen neuen Job bzw. mehr Aufträge zu erhalten? Dann ist es vielleicht Zeitverschwendung, sich auf Twitter mit Kollegen zu streiten, und Sie würden besser auf LinkedIn ein Netzwerk mit Kontakten aus Ihrer Zielbranche aufbauen. Ein Produkt verkaufen? Vielleicht eher auf Facebook oder Instagram.

 

Der häufigste Fall scheint fast, dass jemand eine eigene Mission hat: Ein Thema, das ihn beschäftigt, über das er sprechen will, Pro-Argumente vorstellen, Contra-Argumente widerlegen. Das kann zwischen Leidenschaft und Rechthaberei changieren und führt oft dazu, dass Sie frustrierter werden, aggressiver auftreten und sich häufiger streiten. Hier scheint es mir empfehlenswert, dieses Interesse in die physische Welt zu überführen, etwa in die aktive Mitarbeit in einer Partei, NGO, einem Verein oder einer Initiative. Das senkt den inneren Druck und gibt den Social-Media-Aktivitäten gleichzeitig mehr Richtung.

 

Aufwand und Ergebnis abwägen

Sehr sinnvoll ist es, wenn Sie Ihren Zeit- und Kraftaufwand mit einem Ziel ins Verhältnis setzen und anhand objektiver Kriterien abgleichen. Wie viele neue Jobs oder Aufträge haben Sie durch Ihre Social-Media-Aktivitäten erhalten, wie relevant sind diese Gewinne im Vergleich zum Aufwand? Wie viele Workshops wurden gebucht, wie viele Bücher oder Abos verkauft? Welche Rolle spielt diese Plattform prozentual für den Traffic Ihrer Beiträge? Wer so herangeht und in konkreten Zielen denkt, stellt oft fest: Er investiert nicht nur in die falsche Plattform, sondern bespielt zudem die falsche Zielgruppe.

Das früher häufig genannte generelle Ziel, interessante neue Kontakte zu finden, ist heute sicher zu breit. Nach mehr als 15 Jahren Social Media haben die meisten festgestellt, dass sie überall dieselben Nutzer treffen. Sie haben schon Mühe, sich um bereits bestehenden Kontakte zu kümmern und können auch auf Streitereien mit anonymen Nutzern mit zehn Followern verzichten. Bessere Strategie: Fokus auf wenige, dafür qualifizierte, relevante Kontakte – Klasse statt Masse. Beispiel: Wer einen neuen Medienjob will, sollte gezielt Führungskräfte, Personalvermittler und HR-Mitarbeiter ansprechen, nicht jedermann.

 

Langfristige Folgen bedenken

Zum persönlichen Risikomanagement gehört, die Folgen der eigenen Beiträge momentan und langfristig zu bedenken. Sowohl im Medienbereich wie in anderen Berufsgruppen (Politik, Stars) kommt es regelmäßig vor, dass manche Bemerkung, vor Jahren geschrieben, plötzlich schwer schadet – jemand deswegen etwa einen Jobs nicht bekommt oder wieder abgeben muss. Für Journalisten, die in die PR gewechselt sind, ist es oft eine ungewohnte Erfahrung, dass ihr neuer Arbeitgeber es keineswegs schätzt, wenn sie weiterhin ungefiltert ihre Ansichten öffentlich herausposaunen. Der Vermerk „private Meinung“ schützt da nicht.

 

Bei öffentlichen Auseinandersetzungen, etwa Angriffen von mehreren Dutzend oder gar hunderten Nutzern, muss niemand in Panik verfallen, auch wenn das unangenehm oder beängstigend ist. Manches kann unbeantwortet und unwidersprochen bleiben, anderes kurz richtig gestellt, ohne sich in unendlichen Diskussionen zu verlieren. Viele Kritiker steigen schon bei dem Hinweis wieder aus, dass Sie weiteres aus Zeitgründen nur noch kurz per Telefon besprechen können. Immer wieder wird es aber auch Fälle geben, die nur mit einer Strafanzeige oder einer anwaltlichen Aufforderung zu beantworten sind.

 

Generell empfiehlt es sich daher, Social-Media-Aktivitäten als Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache zu betrachten. Als Medienprofi, der öffentlich immer mit seinem Arbeitgeber und Medium verbunden wird, sind Sie nie nur privat. Bedenken Sie neben Ihren Zielen daher auch Ihren Ton: Wie wollen Sie wahrgenommen werden? Als jemand, der ständig jammert oder schimpft, als jemand, der humorvoll und hilfsbereit ist, der andere Ansichten auch anerkennt und respektiert oder immer nur auf seiner beharrt? Als neutraler Beobachter oder klare Partei? Langfristig wird man Ihnen so begegnen, wie Sie selbst auftreten.

 

Das größte Risiko scheint mir heute darin zu liegen, sich durch die Polarisierung der öffentlichen Diskussion selbst in extreme Positionen zu bewegen – in der Annahme, nur so noch ausreichend Kontra bieten zu können. Behalten Sie sich daher immer eine gewisse Leichtigkeit und die Flexibilität, Ihre Ansichten auch zu korrigieren sowie andere anzuerkennen, die gleichberechtigt neben Ihren stehen können.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Ständig unbezahlte Überstunden

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.