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Journalistischer Nachwuchs: Lachend in die Kreissäge

Sylvia Egli von Matt, Direktorin der MAZ Journalistenschule, beklagt sich in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ über „müde“ Nachwuchsjournalisten. Kein Wunder – denn wenn alle denselben Weg gehen, ist kein Platz mehr auf der Karriere-Autobahn meint Tim Wessling.

Salzburg - Patrick ist 26. Er hat gerade die Journalistenschule hinter sich gebracht und stellt mal wieder alles in Frage: Bin ich richtig in diesem Job? Warum bekomme ich keine Festanstellung? Hätte ich doch auf meinen Vater hören sollen?

Er hat die Aufnahmetests der renommiertesten Journalistenschulen geschafft, er hat brillante Reportagen geschrieben, er hat Praktika bei den besten Redaktionen absolviert – aber wann er die Miete bezahlen kann, weiß Patrick noch nicht.

 

Sylvia Egli von Matt ist Direktorin der MAZ, der Schweizer Journalistenschule. Im Gespräch mit Rainer Stadler spricht sie auch über die Selbstausbeutung des journalistischen Nachwuchses - hier gibt es das Interview in der "Neuen Zürcher Zeitung" . Foto: MAZ

 

Wohin nur mit all dem Talent? Patrick ist gut – sehr gut sogar. Doch er wollte dahin, wo alle anderen hin wollten. Jetzt hat er den Salat. Patrick ist frei erfunden, doch nah dran an der Realität vieler Nachwuchsjournalisten.

Am Ende der Karriere-Gleichung soll ein Traumjob stehen, der journalistisch hochwertige Spuren hinterlässt und reihenweise Journalistenpreise abwirft. Doch Sylvia Egli von Matt sagt es im Interview selbst: 80 Prozent der MAZ-Studenten streben eine Print-Karriere an. Und ein ähnlich großer Anteil will im Politikjournalismus tätig sein. Das ist an jeder Journalistenschule so. Da kann man sich leicht ausrechnen, dass es eng wird in den Redaktionen. Es passt einfach nicht. Kein Platz.

Wenn eine ganze Generation dasselbe will, bleiben viele auf der Strecke. Hier liegt das Problem des Nachwuchsjournalismus.

Die Generation frustriert sich selbst, indem sich alle gleichzeitig durch das Renommee-Mauseloch quetschen. „Der Spiegel“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Süddeutsche Zeitung“, „Frontal 21“, „Monitor“: Da soll es hingehen - und zwar möglichst schnell.

Umwege über weniger klangvolle Redaktionen hemmen die Integrität, sind boulevardesk oder schlicht uncool.

Natürlich produzieren Journalistenschulen immer wieder Senkrechtstarter. Dessen Bilder werden bei Auswahlveranstaltungen mit dem Beamer an die Wand geworfen. Irgendwo im Publikum flüstert dann ein angehender Journalistenschüler dem anderen zu: „Da will ich auch hin“. Und der Nachbar antwortet: „Ich auch.“

Dass der Typ auf dem Beamer-Bild zwar ein brillanter Schreiber ist, aber auch eine große Portion Glück hatte, vergisst man leicht.


Medien sind ein Kommunikationsmarkt.

Viele Jobs werden vergeben, weil man sich bewährt hat, weil man mit dem richtigen Redakteur auf der richtigen Veranstaltung ein Bier getrunken hat. Menschen, die über eine Einstellung entscheiden, lassen sich nicht leicht von großen Namen im Lebenslauf blenden. Ein Praktikum beim Spiegel macht sich gut. Es ist aber keine Jobgarantie.

Denn über die Fähigkeiten des Bewerbers sagt es wenig aus.

Konkurrenz ist gut für die Leistung. Ja. Die Leistungsdichte in manchen Bereichen ist aber so unfassbar hoch, dass Glück zur kalkulierten Variable wird. Praktikanten konkurrieren mit ihren Vorschlägen gegen hochdekorierte Koryphäen des Journalismus – das ist schon schwer genug. Und im Büro nebenan sitzt dann auch noch ein direkter Mitbewerber. Der andere Praktikant, der schon drei Geschichten durch die Konferenz gebracht hat. Was macht der bloß besser?

In einem Becken voller übertalentierter anderer Haifische sind Fleiß und Überstunden oft der einzige Weg sich so richtig zu profilieren.

Man will ja auffallen. Das geht an die Substanz.

 


Unser Gastautor: Tim Wessling, Jahrgang 1987, hat die Deutsche Journalistenschule in München besucht. Er lebt als freier Journalist und Fernsehautor in München. Seine Karriere begann er als freier Mitarbeiter beim "Iserlohner Kreisanzeiger". Beiträge von ihm sind in der "Kölnischen Rundschau", "Bravo", "Twist", "InTouch", "Abendzeitung" oder "Süddeutsche Zeitung" erschienen. Kontakt: www.timwessling.de. Foto: Sigi Müller

 

Und so entsteht dieser müde Nachwuchs, den auch Sylvia Egli von Matt im Gespräch mit Rainer Stadler beklagt.

Doch die Generation der Nachwuchsjournalisten fällt auf die Mär einer lückenlosen Biografie rein, in der nur der direkte Weg nach oben führt. Das ist Quatsch. In den „Top 30 unter 30“ in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland finden sich nicht ohne Grund viele Gründer, Freie und Spinner. Sie haben ausprobiert, Umwege genommen und sind schließlich doch dort gelandet, wo sie hinwollen. Denn Umwege öffnen Türen. Vor allem im Journalismus.

Da kann eine Journalistenschule noch so gut sein: Nach dem Abschluss wird (fast) niemand mit Angeboten für Redakteursstellen beworfen.

Hier potenziert sich die Leistungsfrustration mit wirtschaftlicher Schieflage. Ein Beispiel: Das erste Pflichtpraktikum beim „Stern“ hat keine freie Mitarbeit abgeworfen und das zweite Praktikum beim WDR führte nur zu einem „Du bist gut. Wir haben aber keine Stellen frei“.

Da ist der Fuß in der Tür, doch der Rest vom Körper passt nicht durch den Spalt. Schöne Namen, keine Perspektive.

Das Konto bleibt auch mit einem sexy Lebenslauf leer.

Wer in der Ausbildung auf zu hoch zielt, guckt danach gerne mal in die Röhre. Denn die Nummern denen man Themen anbieten könnte sind wenig und die Wege ins Qualitätsblatt lang. Andere haben in dieser Zeit eine Nische gefunden und trotzen der „Krise“.

Doof nur: Ihr Bild wird nicht bei Journalistenschulen an die Wand geworfen. Sie sind unauffälliger. Sie haben weniger Recherche-Preise im Regal.

Nein, es geht hier nicht darum, die eigenen Träume der wirtschaftlichen Lage der Medienlandschaft anzupassen. Das Endziel der Investigativ-Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“ darf gerne bestehen bleiben.

Allerdings ist ein Praktikum bei der SZ nur ein Weg, irgendwann einmal Hans Leyendecker zu werden. Denn auch dieser Herr begann seine Karriere beim „Stader Tagblatt“ in Niedersachsen.

Tim Wessling

 

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