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Journalismus ist kein Hobby: Was freie Journalistinnen und Journalisten verdienen müssen

Journalismus ist kein Hobby: Was freie Journalistinnen und Journalisten verdienen müssen Cash für Freie (Illu: Angel Boligan Corbo)

Wer faire Honorare verhandeln will, sollte genau wissen, wie viel er oder sie zum Leben braucht. Die Freischreiber zeigen, wie der ideale Tagessatz berechnet wird – 4 Schritte

Berlin – Journalismus ist kein Hobby. Auch wer Freude an seiner Arbeit hat, muss Miete zahlen, wird krank und braucht Rücklagen. Über Honorare sprechen ist deshalb wichtig, Honorare verhandeln umso mehr, schreibt Elisa Kautzky, stellvertretende Vorsitzende, Freischreiber e. V., im aktuellen „medium magazin“. Um eine klare Verhandlungsposition einnehmen zu können, müsst ihr wissen: Wie viel braucht ihr wirklich, um gut leben zu können? Dabei hilft es, den individuellen Tagessatz auszurechnen. Und der liegt meist höher, als man vermutet. Übrigens: Eine „gute Arbeitsatmosphäre“, „Erfahrungen“ oder „Prestige“ sind auch gute Argumente für einen Auftraggeber, zahlen aber keine Miete.


Los geht’s: Erst mal solltet ihr ausrechnen, wie viel Geld ihr zum Leben braucht. Diese Ausgaben werden dann mit der Arbeitszeit verrechnet. Freischreiber-Mitglieder können dafür auf einen Onlinerechner zurückgreifen (freischreiber.de/bierdeckel). Für alle anderen hier die Kurzanleitung:


Schritt 1: Alle monatlichen Ausgaben zusammenrechnen. Miete, Nebenkosten, Lebensmittel, Versicherungen, Kredite, Kleidung, Kita-Gebühr, Fitnessstudio, Rücklagen – wirklich alles muss rein. Seid ehrlich zu euch selbst und zählt auch Ausgaben wie Urlaube, Hobbys und Streamingdienste mit rein. Und baut einen kleinen Puffer ein für unvorhergesehene Ausgaben oder schlicht für Zahlungen, die ihr bei eurer Sammlung vergessen habt. Voilà: Jetzt habt ihr euren Bedarf in Euro.

 

Schritt 2: Ihr müsst von netto zu brutto kommen. Den Bedarf müsst ihr aber von eurem Nettolohn zahlen. Deshalb muss euer Bruttolohn also so hoch sein, dass nach Abzug des Steuersatzes der Bedarf übrig bleibt. Das lässt sich leicht ausrechnen. Für den Brutto-Monats- Durchschnitt teilt ihr euren Netto- Monats-Bedarf zum Beispiel durch 0,7, wenn ihr den Betrag erhalten wollt, den ihr mit einem 30-prozentigen Steuerpolster erwirtschaften müsst. Wer 2.750 Euro im Monat braucht und 30 Prozent für Steuern einkalkulieren muss, sollte also Bruttoeinnahmen von 3.928 Euro als Ziel haben. Die Rechnung könnt ihr je nachdem, wie viel Sozialabgaben, Lohnoder Einkommenssteuer ihr zahlt, anpassen. Für 25 Prozent teilt ihr den Nettobetrag durch 0,75, für 35 Prozent durch 0,65 usw.


Merkt euch nun euren Bruttolohn: Diesen Monatsbeitrag gilt es mindestens zu decken. Festangestellte können hier direkt ihr Einkommen vergleichen. Freie können sich bei fixen Honoraren ebenfalls ausrechnen, wie viele Artikel sie für diesen Preis abliefern müssen. Bei Aufwandsentschädigung nach Zeit wird es schwieriger. Hier hilft der Tagessatz.

 

Schritt 3: Ihr müsst eure Arbeitszeit berechnen. Ihr könnt nämlich nicht 365 Tage im Jahr arbeiten. Wie viele Kranken- und Urlaubstage müsst ihr einplanen, wie viel Zeit für Akquise und Co.? Spielen wir es einmal an einem Beispiel durch. Zieht man Wochenenden und Feiertage ab, bleiben im Jahr 2024 bundesweit durchschnittlich 248,8 Arbeitstage übrig. Achtung: Je nach Bundesland variiert die Zahl der Feiertage. Zur Vereinfachung rechnen wir mit 249 Tagen. Minus 29 Tage Urlaub, wenn wir uns an dem oder der Durchschnittsdeutschen orientieren, und minus 20 Tage, an denen wir krank (durchschnittlich 15,2 Tage im Jahr) oder anderweitig verhindert sind. Bleiben 200 Arbeitstage. Wer frei arbeitet, muss davon 20 bis 30 Prozent der Zeit einplanen für Akquise, Themenfindung, Buchhaltung und Fortbildung. Die können wir nicht in Rechnung stellen. Gehen wir von 20 Prozent aus – also einem Tag in einer Werkwoche –, müssen wir noch einmal 40 Arbeitstage jährlich abziehen; bei 30 Prozent Puffer sogar 60. Pro Monat bleiben also elf bis 13 Arbeitsbzw. „Honorartage“, im Jahr sind das 140 bis 160 Tage.


Schritt 4: Jetzt rechnet ihr den Tagessatz aus. Den zuvor errechneten Bruttolohn müsst ihr nun durch die monatlichen Arbeitstage teilen und schon habt ihr den Tagessatz, den ihr mindestens ansetzen müsst. Noch mal: mindestens! Beim Beispiel mit den 2.750 Euro netto bzw. 3.928 Euro brutto läge der Tagessatz (13 Honorartage) bei rund 302 Euro.

 

Tipp: Rechnet auch einen Wunsch-Tagessatz aus. Dafür könnt ihr euch an einem Jahresumsatz orientieren, zum Beispiel dem deutschen Jahresdurchschnitt von rund 52.000 Euro brutto in Vollzeit. Den teilt ihr durch die jährlichen Arbeitstage, beispielsweise die 160 Tage. Das ergibt einen Tagessatz von 325 Euro. Aber: Je mehr Zeit für Akquise, Themenfindung und Buchhaltung draufgeht, desto höher sollte der Tagessatz sein. Jetzt wisst ihr, wie viel ihr braucht und wie viel ihr gern hättet. Bereit für die Verhandlung.

 

Wichtigster Tipp: Versucht, als Erster einen Preis zu nennen, und zwar niemals unter dem Mindestsatz. Legt euch gute Argumente zurecht, warum ihr dieses Honorar braucht (Inflation, jahrelange Zusammenarbeit, Reisekosten, Mehraufwand durch Übersetzung). Dabei gehört nicht nur das Geld zur Verhandlungsmasse – auch der Abgabetermin, die Korrekturschleifen, eine anschließende Weiterverwertung oder eine längerfristige Zusammenarbeit können verhandelt werden. Bleibt geduldig, gebt nicht zu schnell nach. Und: Sagt Nein, wenn das Angebot nicht wirtschaftlich ist. Denkt daran: Ihr wollt gut leben, nicht überleben.

 

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