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Wolf-Dieter Poschmann: „Live schlägt heutzutage alles“

Wolf-Dieter Poschmann: „Live schlägt heutzutage alles“ Wolf-Dieter Poschmann. Foto: ZDF

ZDF-Moderator Wolf-Dieter Poschmann spricht im Interview über die Entwicklung der Sportberichterstattung, die neue Rolle der Öffentlich-Rechtlichen und eigene journalistische Ansprüche.

Bonn - Nach den Olympischen Spielen in Rio ist Schluss. Nach 30 Jahren beim ZDF geht der langjährige Moderator des Aktuellen Sportstudios in den Ruhestand. Im Gespräch mit dem "General-Anzeiger" aus Bonn äußert sich Wolf-Dieter Poschmann besorgt zum Wandel der Sportberichterstattung.

 

Als er vor 30 Jahren zum ZDF kam, so erklärt der 64-Jährige, seien es paradiesische Zustände gewesen. „Wir haben ein Programm nach unseren redaktionellen Vorstellungen gemacht, ohne groß nach den Wünschen der Zuschauer zu fragen. Auf die Quote wurde kaum Rücksicht genommen – die hatte man.“ Mit dem Aufkommen der Privatsender habe sich das radikal verändert.


„ARD und ZDF in erster Linie Dienstleister“


Heute sieht er die Öffentlich-Rechtlichen als ein „Nachfrage-Medium“. Über Quoten und Umfragen werde erfragt, was diejenigen, die Gebühren bezahlen, mehrheitlich sehen wollen. Es bestünde eine gewisse Nachfrage, die vom Sender bedient werden muss. „Wir sind also in erster Linie Dienstleister.“ Die Erkenntnis aus den Umfragen ist eindeutig. „Live schlägt heute alles – Nachbearbeitung und Hintergrundgeschichten sind Garnitur.“ Früher sei das nicht so gewesen und man habe sich bei der Programmzusammenstellung ausschließlich an journalistischen Kriterien orientiert. Poschmann sieht Fernsehen heute als streng erfolgsorientiert – anders als früher sei man auf die Quoten angewiesen. Das bedeutet für die Sender: live, live und noch mehr live. Fußball, Wintersport, Olympia. Früher sei es undenkbar gewesen, sieben bis neun Stunden Wintersport am Tag zu zeigen, heute verlangt das der Markt.


Private Sender würden den Druck ebenfalls erhöhen. ARD und ZDF verfügten nicht mehr über die Souveränität wie noch vor 30 Jahren. Durch den heutigen Druck der Konkurrenz würden journalistische Ansprüche oft in den Hintergrund gerückt, wodurch die Berichterstattung braver, geschmeidiger und weniger kontrovers geworden sei, so Poschmann. Als Journalist müsse man sich immer mehr verbiegen, um der Nachfrage gerecht zu werden. „Früher haben wir das gemacht, was man als Angebots-Fernsehen definieren kann.“ Mit heutigen Arbeitsweisen habe das nicht mehr viel gemein.


„Selbstverständnis einer Redaktion tritt in den Hintergrund“


„Man ist als Journalist geneigt, neuen Tendenzen und Strömungen zu folgen.“ Diese Strömungen gehen nicht immer mit journalistischen Standards einher: „Es gab Zeiten, in denen Spielerfrauen auf der Tribüne und Hobbys der Profis fast wichtiger wurden, als der Sport selbst“, reflektiert Poschmann. Diese Entwicklung findet er bedauerlich. Hinter den Kulissen des ZDF sei heftig diskutiert worden. „Wir haben uns gefragt: Wollen wir das mitmachen oder wollen wir nicht doch unseren Standpunkt bewahren und ein Mahner bleiben?“ Auch er selbst habe sich viel zu häufig angepasst. „Das Selbstverständnis einer Redaktion tritt dadurch in den Hintergrund.“ Nicht immer zum Wohl des Produktes, wie der langjährige Leiter der Hauptredaktion Sport findet.

 

Robin Rittinghaus


Newsroom.de-Service: Berthold Mertes, Hartmut Eickenberg, "General-Anzeiger Bonn": 

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