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Wolfgang Vyslozil: "Nachrichtenagenturen benötigen ein zweites Standbein"

"Zuverlässigkeit, Faktentreue und Unparteilichkeit" zeichnet die Berichterstattung von Agenturen aus, Wolfgang Vyslozil nennt sie "Rückgrat von tagesaktuellem Qualitätsjournalismus". Ein Gespräch über Nachrichtenagenturen, was sie unterscheidet von der "durch soziale Medien aller Art häufig verbreiteten Informations-Kakophonie", ihre Eigentümer und wie sie auch in Zukunft noch bestehen können. Von Bülend Ürük.

Wien - "Die Frage der Finanzierung von Nachrichtenagenturen ist ein Schlüsselthema für deren redaktionelle Unabhängigkeit. Redaktionelle Unabhängigkeit setzt wirtschaftliche Unabhängigkeit voraus, das ist jedenfalls die tiefe Überzeugung der vom Staat unabhängigen Agenturen", betont Wolfgang Vyslozil, der über Jahrzehnte als APA-Chef das Nachrichtengeschäft mitgeprägt hat.

Zur Person: Wolfgang Vyslozil, Jahrgang 1945, war 26 Jahre lang Vorsitzender der Geschäftsführung der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Auch auf internationaler Ebene hat er die Entwicklung von Nachrichtenagenturen vorangetrieben, so war er gleich zweimal Präsident der European Alliance of Newsagencies (EANA) und Chairman of IPI-Expert Committee on Newsagencies. Kürzlich erschien das Buch „Group 39 - History of an Exceptional Alliance of News Agencies“, in dem der "Medienmanager des Jahres" (2007) und Fellow vom International Press Institute (IPI) auch die Geschichte der Nachrichtenagenturen weltweit aufarbeitet. Vyslozils Buch kann schon jetzt als Standardwerk bezeichnet werden.

Herr Dr. Vyslozil, auf Twitter gibt es Nachrichten besonders schnell, bei Facebook schreiben die Politiker ungefiltert und auf Instagram posten die Stars ihre Fotos. Wenn selbst Nachrichtenprofis wie der österreichische Moderator Armin Wolf sagen, dass er sich für Twitter entscheiden würde, wenn er sich denn zwischen Nachrichtenagentur und Twitter entscheiden müsste, stellt sich mir die Frage, wofür wir Nachrichtenagenturen heute überhaupt noch benötigen.

Wolfgang Vyslozil: Die Redaktionen der Medien in aller Welt können sich auf die inhaltliche Richtigkeit und Unparteilichkeit von Nachrichtenagenturen wie Reuters, AP, AFP, oder dpa, aber auch der APA in Wien oder der SDA in Bern verlassen. Sie und viele andere Agenturen weltweit eint ein gemeinsames Wertesystem, das geprägt ist vom Bekenntnis zu zuverlässiger, faktenorientierter und unbeeinflusster Berichterstattung. Natürlich verbreiten Twitter, Facebook und andere soziale Medien immer wieder relevante Breaking News. Dennoch können Redaktionen auf Basis dieser Informationshappen keine Zeitungen oder Nachrichtensendungen in Radio und Fernsehen, geschweige denn Online-Nachrichtenprotale gestalten. Das liegt an den sozialen Medien selbst, die neben Breaking News kontinuierlich auch Gerüchte, Spekulationen, Propaganda und Lügen verbreiten, wie dies Mark Thompson, der Präsident der New York Times kürzlich bei einem Vortrag in Oxford formuliert hat. Der Aufwand der Redaktionen, Informationen der sozialen Medien auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen, ist deshalb beträchtlich. Außerdem – und das ist ein weiterer ganz entscheidender Nachteil im Vergleich zu den Nachrichtenagenturen – fehlt ihnen die Kontinuität in der Berichterstattung und die Universalität der Themen, die die Agenturen im Sekundentakt 24 Stunden rund um die Uhr liefern. Erst die verlässliche Rund-um-die-Uhr Berichterstattung über Themen, die für alle Ressorts relevant sind, ermöglicht die kosteneffiziente Produktion tagesaktueller Medien.

Wenn Armin Wolf meinte, er würde sich im Falle des Falles für Twitter entscheiden, so hat er gleichzeitig auch festgestellt, dass viele Informationen, die er auf Twitter erhält, ursprünglich von Nachrichtenagenturen stammen. Gleichzeitig hat er aber auch konstatiert, dass sein Statement nur für ihn in seiner Funktion als Moderator zutrifft, dass der ORF als Ganzes auf Nachrichtenagenturen wie etwa die APA keinesfalls verzichten kann.

"Nachrichtenagenturen sind heute Informations-Dienstleister"

Was sind die Merkmale einer modernen Nachrichtenagentur?

Wolfgang Vyslozil: Sie sind längst nicht mehr nur reine Textagenturen, sondern haben sich fast alle zu stark diversifizierten Informations-Dienstleistern weiterentwickelt. Neben multimedialen Angeboten, wie Bilderdienst, Video- und Infografik-Diensten sind Serviceleistungen für Redaktionen, wie etwa Termindienste und ähnliches immer stärker in den Vordergrund gerückt. Darüber hinaus haben sich moderne Agenturen zu hochspezialisierten IT-Dienstleistern entwickelt, die unter anderem Content Managementsysteme anbieten, ebenso wie spezialisierte Datenbank- und Media-Monitoring-Dienste, OTS-Dienste und Finanzinformations-Dienste. Mit diesen neuen Diensten wenden sich die Agenturen mehrheitlich an Nicht-Medien-Kunden. Im Schnitt erlösen moderne Nachrichtenagenturen nur mehr etwa 40 Prozent ihres Umsatzes mit klassischen Agenturdiensten, während sie mit ihren sonstigen Dienstleistungen im Schnitt bereits etwa 60 Prozent ihrer Erträge erwirtschaften. 

 

"Diversifizierungsprojekte sichern Nachrichtenagenturen das Überleben", sagt Wolfgang Vyslozil, früherer Top-Manager bei APA und Autor des Buchs "Group 39". 

 

 

"Rechtssicherheit zentrales Asset von Nachrichtenagenturen"

Reicht das schon aus? In Deutschland gab es einen Chefredakteur einer großen Regionalzeitung, der die größte Nachrichtenagentur dpa unter anderem mit dem Hinweis abbestellt hatte, weil er deren Nachrichten im Notfall auch auf anderen Websiten lesen konnte.

Wolfgang Vyslozil: Offensichtlich sind Nachrichtenagenturen für tagesaktuelle Medien weiterhin so gut wie unverzichtbar. Mit ganz seltenen Ausnahmen lässt sich sagen, dass weltweit fast alle tagesaktuellen Medien Dienste einer oder mehrerer Agenturen beziehen. Selbst wenn einzelnen Medien immer wieder versuchen, ohne Agenturdienste auszukommen, so kehren sie nach einiger Zeit immer wieder als Agenturkunden zurück. Nicht zuletzt deshalb, weil ihnen bewusst wird, dass ein Geschäftsmodell, das die Rechte von Nachrichtenlieferanten missachtet, auf die Dauer nicht durchzuhalten ist. Gerade aber die Rechtssicherheit, die Nachrichtenagenturen ihren Kunden bei der Nutzung ihrer Meldungen, Bildern, Videos und Grafiken gewährleisten, ist eines der zentralen Assets beim Bezug von Agenturdiensten.

"Solch einen Umbruch im Mediengeschäft hat es seit 1850 nicht gegeben"

In Ihrem Buch arbeiten Sie detailliert die Geschichte von Nachrichtenagenturen auf. Hat es solch einen Umbruch im Mediengeschäft schon einmal gegeben, wie ihn die gesamte Medienbranche heute erleben muss?

Wolfgang Vyslozil: Einen vergleichbar tiefgehenden Umbruch im Mediengeschäft konnte ich in der Periode seit 1850 nicht beobachten. Allerdings war für die Zeitungen in den 1920er und 1930er Jahren das Entstehen und Verbreitung des damals neuen Mediums ‚Radio‘ Ursache großer Sorge vor dem neuen Wettbewerber um die Aktualität der Berichterstattung. Die Zeitungen haben damals ihre Alleinstellung als Vermittler aktueller Information verloren. Dennoch haben sie insbesonders in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg eine lange Phase besonderer Prosperität erlebt. Für die Nachrichtenagenturen selbst stellte hingegen der Übergang von drahtgebundener Telegrafie zu Funktelegrafie in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg eine offensichtlich ähnlich tiefgreifende Zäsur dar, wie dies heute mit dem Internet und den sozialen Medien der Fall ist. Eine Folge davon war, dass die Agenturen in der Zwischenkriegszeit von ihren Regierungen wirtschaftlich immer stärker abhängig wurden und als Preis dafür immer stärker politisch instrumentalisiert wurden.

Nachrichtenagenturen haben auf unterschiedliche Art schon immer eng zusammengearbeitet, teilweise gab es über Jahrzehnte auch eine Aufteilung der Weltregionen, bei denen hier die Associated Press, dort Reuters exklusiv vertreten war. Wie wichtig ist heute die Zusammenarbeit über Länder hinweg?

Wolfgang Vyslozil: Tatsächlich ist es 1870 zur Gründung eines unerhört einflussreichen Informationskartells zwischen Reuters (London), Havas (Paris) und Wolff (Berlin) gekommen, in dessen Rahmen sich diese drei Agenturen die Welt in globale exklusive Zonen zur Nachrichtenbeschaffung und zum Nachrichtenverkauf aufgeteilt haben. Einzelne Autoren vertreten die Ansicht, dass damals eines der mächtigsten Kartelle entstanden ist, das je existiert hat. Formal endete diese Form der Zusammenarbeit, bei dem die nationalen Agenturen ein Netzwerk von Satellitenagenturen rund um die drei globalen Nachrichten-Dominatoren gebildet haben, im Jahr 1934. Defacto aber blieben die Strukturen auf Grund der informationstechnischen Dominanz der drei Weltagenturen bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges, also insgesamt fast 70 Jahre unverändert bestehen. Die derzeitige Zusammenarbeit zwischen den 100 bis 110 weltweit existierenden Nachrichtenagenturen basiert heute wie bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen auf so genannten Austauschverträgen. So tauschen beispielsweise die Austria Presse Agentur (APA) und die Schweizerische Depeschenagentur (SDA) ihre Dienste entgeltfrei aus und entnehmen dem Dienst der jeweils anderen Agentur die für das eigene Land relevanten Meldungen. Auf dieser Basis beruht vor allem die Nachbarschaftsberichterstattung der einzelnen Agenturen.

Basis vieler nationaler Nachrichtenagenturen für Weltnachrichten: Bezugsverträge mit großen internationalen Agenturen

Wie sieht die Zusammenarbeit heute genau aus?

Für die globale Berichterstattung der kleineren so genannten „nationalen Nachrichtenagenturen“ stellen die Bezugsverträge mit den großen internationalen Agenturen die Basis dar. Die großen Agenturen betreiben jeweils Korrespondentennetzwerke in bis zu 150 Ländern der Welt, während die kleinen Agenturen mehrheitlich nur in einer Handvoll für sie politische relevanter Länder eigene Korrespondentenbüros unterhalten. Mit den internationalen Agenturen erfolgt ebenfalls ein Nachrichtenaustausch in der beschriebenen Form, allerdings nicht auf Gratisbasis, vielmehr werden diese Dienste gegen Entgelt ausgetauscht.

Diese Form der globalen Vernetzung praktisch aller Nachrichtenagenturen weltweit stellt eine einzigartige Alleinstellung der Agenturen dar. Ohne derartige Austauschverträge könnten Nachrichtenagenturen ihre weltweite Berichterstattung nicht sicherstellen. Auf die außerordentliche Relevanz dieser Austauschverträge verweisen auch die ältesten noch heute existierenden Agenturverträge, nämlich jene, die das österreichische „Korr-Büro“ 1869 mit Reuters und Havas (der heutigen AFP) abgeschlossen hat. Das bedeutet mit anderen Worten, dass die Austria Presse Agentur (APA) gemeinsam mit ihren direkten Vorgängern ein 145-jähriges, immer wieder erneuertes Vertragsverhältnis mit den beiden Weltagenturen unterhält, in dem der gegenseitige Austausch der Dienste geregelt wird.

 

Das englischsprachige Werk "Group 39" (388 Seiten, Verlag: APA Austria Presse Agentur eG, Verkaufspreis: 25 Euro) von Wolfgang Vyslozil hebt auch die Bedeutung von unabhängigen Nachrichtenagenturen hervor. Bestellung per Email: diana.cham@apa.at.

 

2011 brach die New Zealand Press Association (NZPA) zusammen, 2013 stellte die deutsche Nachrichtengentur dapd ihre Arbeit ein. Woran scheitern Nachrichtenagenturen?

Wolfgang Vyslozil: Die beiden zitierten Beispiele sind kaum miteinander zu vergleichen. In Neuseeland war es vor allem die Kleinheit des dortigen Medienmarktes in Verbindung mit der immer stärkeren Konkurrenz durch die Australian Associated Press (AAP), die zur Einstellung der NZPA, einer der ältesten Agenturen der Welt, geführt hat. Bei dapd waren es hingegen vor allem Managementfehler, die zur Insolvenz der Agentur beigetragen haben. Insgesamt aber ist die weltweite Agenturszene durch außerordentliche Langlebigkeit gekennzeichnet. So weisen etwa die vom Staat unabhängigen nationalen Nachrichtenagenturen Nord- und Mitteleuropas ein Durchschnittsalter von über 120 Jahren auf.

"Je geringer die Pressefreiheit in einem Land, desto parteilicher und einseitiger berichtet die Agentur"

75 Prozent aller Nachrichtenagenturen weltweit befinden sich in Staatsbesitz. Dennoch akzeptieren und zitieren wir in Westeuropa Nachrichtenagenturen auch aus Ländern, in denen sie bessere Pressestellen der jeweiligen Regierung darstellen. Warum unterscheiden wir in den Redaktionen so selten zwischen Nachrichtenagenturen, die frei berichten können, und Nachrichtenagenturen, die die Staatsdoktrin weitergeben müssen?

Wolfgang Vyslozil: Stellt man sich die Qualität und Zuverlässigkeit von Agenturen in öffentlichem oder staatlichem Eigentum auf einem Kontinuum vor, so finden sich an dem einem Ende Agenturen wie etwa die öffentlich-rechtliche AFP oder die staatliche spanische EFE. Sie bieten eine umfassende, zuverlässige und ausgewogene Berichterstattung. Wie überhaupt die meisten Nachrichtenagenturen in Europa dem gleichen, durch das Bestreben um Objektivität und Unparteilichkeit geprägten Wertesystem verpflichtet sind. Am anderen Ende des Kontinuums sind Agenturen aus Ländern mit totalitäten Regimes, wie etwa Nordkorea, Iran oder Eritrea, positioniert. Generell gilt, je geringer die Pressefreiheit in einem Land ausgeprägt ist, desto parteilicher und einseitiger berichtet die Agentur dieses Landes. Für die Berichterstattung aus Ländern mit staatlich kontrollierten Agenturen kommt den großen internationalen Agenturen mit ihren eigenen Korrespondenten in diesen Regionen eine besondere Bedeutung zu. Sie sind jene ausländischen Medien, die in erster Linie die dortigen nationalen staatlichen Agenturen beziehen und für die diese Agenturen eine Quelle von mehreren sind, auf die das dortige Korrespondentenbüro im Normalfall zugreifen können. Überwiegend erst durch die redaktionelle Arbeit der internationalen Agenturen gewinnen die Meldungen der offiziellen Agenturen dieser Länder für unsere Medien an Relevanz und Bedeutung. 

Frage der Finanzierung von Nachrichtenagenturen ist Schlüsselthema für deren redaktionelle Unabhängigkeit

Ist es aus Ihrer Sicht heute überhaupt noch wichtig, wer Nachrichtenagenturen finanziert? Halten Sie es zum Beispiel für vorstellbar, dass die österreichische APA, deren Geschäfte sie lange Jahre geführt haben, heute auch von der Presseförderung profitiert, mit der der österreichische Staat die Tageszeitungen alimentiert?

Wolfgang Vyslozil: Die Frage der Finanzierung von Nachrichtenagenturen ist ein Schlüsselthema für deren redaktionelle Unabhängigkeit. Redaktionelle Unabhängigkeit setzt wirtschaftliche Unabhängigkeit voraus, das ist jedenfalls die tiefe Überzeugung der vom Staat unabhängigen Agenturen. Für diesen Agenturtypus stellt die Staats- und Regierungsferne geradezu eine Art Dogma dar. Die Begehrlichkeit von Regierungen und politischen Parteien, Einfluss auf die jeweiligen nationalen Agenturen zu gewinnen, ist weltweit unübersehbar. Sie begründet auch, warum sich drei Viertel aller Agenturen weltweit in staatlichem Eigentum und unter staatlicher Kontrolle befinden. Aus diesem Grund sind Subventionierungen für die allermeisten unabhängigen Agenturen ein absolutes „no go“. Wie die Erfahrung zeigt, erzeugen Subventionen Abhängigkeiten vom politischen Subventionsgeber und genau diese Entwicklung versuchen die unabhängigen Agenturen vom Typus der APA unter allen Umständen zu vermeiden. Aus genau diesem Grund hat die APA bis jetzt keinerlei Initiativen unternommen, um ebenfalls Presseförderung zu beziehen.

Wäre das auch ein Problem, wenn APA ihre Eigentümerverhältnisse klar und deutlich macht oder in eigenen Publikationen verdeutlicht, zu welchem Prozentanteil sie vom Staat Unterstützung erhält?

Wolfgang Vyslozil: Die APA ist stolz, gemeinsam mit den großen prominenten Agenturen wie Reuters, AP, dpa und anderen zu jenem Viertel der Agenturen weltweit zu gehören, die vom Staat unabhängig sind. Dementsprechend kommuniziert sie auch ihre Rechtsform als Genossenschaft im Eigentum von 14 österreichischen Tageszeitungen und dem ORF. APA erhält vom österreichischen Staat keinerlei Subventionen oder andere Unterstützungen. Die Bezugsverträge, die öffentliche Stellen, wie etwa Ministerien oder das Parlament mit der APA geschlossen haben, sind reine Dienstleistungsverträge. Sie bewegen sich in ihrem Volumen in einem niedrigen einstelligen Prozentbereich gemessen am Gesamtumsatz der APA.

Im Zeitungsgeschäft sind auch heute noch zweistellige Margen in vielen Verlagen weit verbreitet. Mit welchen Margen müssen die Nachrichtenagenturen auskommen?

Wolfgang Vyslozil: Generell sind nur von wenigen Agenturen betriebswirtschaftliche Kennzahlen bekannt. Bei staatlichen Agenturen spielt Gewinnorientierung mit wenigen Ausnahmen keine Rolle. Relevante Zahlen liegen nur von den großen internationalen Agenturen und der Gruppe der nationalen unabhängigen Agenturen Europas vor. Sie weisen mehrheitlich positive Jahresabschlüsse mit einstelligen Umsatzmargen auf.

In Nachrichtenagenturen kein Platz für Star-Journalisten

Was muss ein Journalist aus Ihrer Sicht mitbringen, um heute bei einer Nachrichtenagentur Fuß zu fassen?

Wolfgang Vyslozil: Für sie oder für ihn sollte das Interesse im Vordergrund stehen, draufzukommen, was wirklich passiert. Es geht also nicht so sehr um die „gute Geschichte“, vielmehr sind es große thematische Gebilde, die in Agenturredaktionen im Idealfall erarbeitet werden. Daher wird das Denken und auch das Arbeiten über Ressortgrenzen hinaus erwartet. Zudem ist eine Grundvoraussetzung, in der Lage zu sein, unter Druck und mit hohem Tempo auf akzeptablem Niveau zu arbeiten. Diese Anforderung umfasst auch die Bereitschaft zu hohem Output. Außerdem muss das Bewusstsein vorhanden sein, dass es in Agenturredaktionen keinen Platz für Selbstdarstellung gibt, da Agenturjournalisten überwiegend anonym arbeiten. In Agenturen ist folgedessen auch kein Platz für journalistische „Stars“. Wer auf Namenszeile und Autorenfoto erpicht ist, ist in Agenturen am falschen Platz. Wie überhaupt die Bereitschaft, sich in ein Team einzufügen und gemeinsam an vernetzten Geschichten zu arbeiten, im Vordergrund stehen müssen.

Diversifizierungsprojekte sichern Nachrichtenagenturen das Überleben

Und was unterscheidet den Manager einer Nachrichtenagentur von dem eines Zeitungshauses?

Wolfgang Vyslozil: Vor allem in zwei zentralen Aspekten unterscheiden sich die Aufgabenprofile des Agenturmanagements vom Zeitungsmanagement: Zum einen sind Nachrichtenagenturen klassische Business-to-Business Unternehmen. Sie wenden sich im Unterschied zu den Zeitungen und den elektronischen Medien nicht an Leser und Enduser, sondern sind primär Dienstleistungsunternehmen für die Medien selbst und damit vor allem für die Eigentümer der Agenturen. Dies schränkt ihren Markt und ihr Marktpotential drastisch ein und erfordert besondere Kreativität und Kompetenz vom Management der Agenturen.

Der zweite wesentliche Unterschied im Anforderungsprofil liegt darin, dass die Agenturen keine Anzeigen vermarkten dürfen. Ihre ursprünglich einzige Erlösquelle war und teilweise ist noch immer der Verkauf ihres Contents. Das für alle anderen Medien so wesentliche Anzeigengeschäft und damit ganz substanzielle Erlösquellen bleiben den Nachrichtenagenturen verschlossen.

Eigentümer behindern Innovationsprojekte

Dementsprechend erfordert das Führen von Nachrichtenagenturen neben klassischer Managementkompetenz zusätzlich ausgeprägtes Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschick im Umgang mit den Medien-Eigentümern. Deren immer wieder zum Ausdruck gebrachte Sorge ist, dass „ihre“ Agenturen in ein Wettbewerbsveerhältnis mit ihnen als Eigentümer kommen. Aus diesem Grund behindern, aber auch verhindern sie als Eigentümer immer wieder Innovationsprojekte der Agenturen. Die Zukunft der Nachrichtenagenturen ist aber entscheidend davon abhängig, inwieweit es gelingt, durch Diversifizierungsprojekte zusätzliche Märkte und in der Folge zusätzliche Erlösquellen zu erschließen.

Wir sprechen in diesen Tagen oft davon, wie Medienhäuser überleben können. Welche Chance haben Nachrichtenagenturen, um auch in Zukunft erfolgreich zu arbeiten?

Wolfgang Vyslozil: Eine langfristige, nachhaltige Entwicklung der Agenturen wird davon abhängen, inwieweit es ihnen gelingt, durch Diversifizierungen ein Zwei-Säulen-Geschäftsmodell und damit ein zweites ökonomisches Standbein zu entwickeln. Nur durch ‚Quersubventionierungen“ von diesen neuen Geschäftsaktivitäten in Richtung des Geschäftsfelds der klassischen Nachrichtenagentur wird es gelingen, eine hohe journalistische Qualität der Agenturen zu finanzieren und das Dienstleistungsvolumen der Agenturen für die Medien noch zu erweitern. Und nur so wird es möglich sein, die durch Zuverlässigkeit, Faktentreue und Unparteilichkeit geprägte Agenturberichterstattung als Rückgrat von tagesaktuellem Qualitätsjournalismus und gleichzeitig als Gegenpol zu der durch soziale Medien aller Art häufig verbreiteten Informations-Kakophonie aufrechtzuerhalten.

Die Fragen an Wolfgang Vyslozil stellte NEWSROOM-Chefredakteur Bülend Ürük.