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Gesetz gegen digitale Gewalt lässt weiter auf sich warten

Die Bundesregierung plant ein Gesetz gegen digitale Gewalt, das Menschen vor Hassrede schützen soll. Fachleute üben Kritik, weil sie Cyberstalking ausklammert - und fordern mehr Technikbildung für Mädchen.

Bonn (KNA) - Eine Todesdrohung per Mail, ein Vergewaltigungswunsch unter einem Instagram-Post, eine Beleidigung in den TikTok-Kommentaren: Hassrede im Netz ist heutzutage allgegenwärtig. Besonders Frauen, queere, dicke und behinderte Menschen oder Personen, die von Rassismus betroffen sind, sind mit dieser Form digitaler Gewalt immer wieder konfrontiert, wenn sie im Internet unterwegs sind. Auch Kinder und Jugendliche sind betroffen: Mobbing im realen Leben wird oft im Internet fortgeführt - und umgekehrt.

Im April 2023 entschied die Bundesregierung, etwas gegen digitale Gewalt unternehmen zu wollen. Das Bundesjustizministerium veröffentlichte ein Eckpunktepapier, aus dem ein „Gesetz gegen digitale Gewalt“ werden sollte.

Über ein Jahr später ist wenig passiert. Im Justizministerium hofft man noch auf eine Verabschiedung des Gesetzes in dieser Legislaturperiode, der Entwurf werde aktuell finalisiert, sagte eine Sprecherin auf Anfrage des KNA-Mediendienstes. Doch ob das Gesetz es tatsächlich noch vor der nächsten Bundestagswahl durchs Parlament schafft, ist offen.

Kopfschütteln bei Experten
Denn schon die Eckpunkte sorgten in Fachkreisen eher für Kopfschütteln: Viele Dimensionen digitaler Gewalt seien vom Gesetz nicht erfasst, kritisiert etwa Elizabeth Avila Gonzalez, die beim Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (BFF) an einem Projekt gegen digitale Gewalt mitarbeitet. „Digitale Gewalt ist nach unserer Definition jede Form von Gewalt, die mit technischen Hilfsmitteln oder digitalen Medien ausgeführt wird oder im digitalen Raum stattfindet“, erklärt die Juristin.

Technisch gestützte Gewalt sei beispielsweise Cyberstalking: „Fast alle Stalking-Fälle, die unsere Beratungsstellen bearbeiten, haben mittlerweile eine digitale Komponente“, so Avila Gonzalez. Dabei installieren Täter beispielsweise unbemerkt Spionagesoftware auf technischen Geräten wie dem Smartphone der Betroffenen. So können sie jede Aktivität auf dem Gerät nachvollziehen oder die Person jederzeit orten.

Gewalt mithilfe digitaler Medien sei vor allem bildbasierte sexualisierte Gewalt, also das nicht einvernehmliche Veröffentlichen von Bildern, erklärt Avila Gonzalez. Beim BFF konzentriere man sich vor allem auf digitale Gewalt im sozialen Nahbereich, also zwischen Menschen, die sich kennen, weil sie beispielsweise in einer Beziehung sind oder waren, familiäre Verbindungen haben oder sich von der Arbeit oder aus der Nachbarschaft kennen. Digitale Gewalt sei beinahe immer eine Fortsetzung von herkömmlicher Gewalt, die auf den digitalen Raum ausgedehnt oder mit technischen Mitteln vollzogen wird.

Digitale Gewalt gegen Unternehmen
Die Formen digitaler Gewalt, die Avila Gonzalez aus der Praxis aufzählt, sind im geplanten Gesetz bislang nicht berücksichtigt. Das Papier sieht vor, dass es Nutzerinnen und Nutzern, die von Hassrede betroffen sind, zwar erleichtert werden soll, an die Daten der Täter zu gelangen - sowohl bei Hassrede in sozialen Netzwerken als auch in Messengerdiensten wie WhatsApp. Unklar ist dabei jedoch, wie der Zugang im Fall von datensparsamen Diensten wie Signal gelingen kann - denn Signal und Co. erheben solche Daten gar nicht.

Außerdem sollten Gerichte unter bestimmten Umständen - wenn Betroffene immer wieder vom selben Nutzer belästigt werden - die Sperrung des Täter-Accounts anordnen dürfen. Das soll auch möglich sein, wenn die Identität das Täters nicht bekannt ist, weil er den Account anonym betreibt.

Neben digitaler Gewalt gegen Personen soll das Gesetz auch Unternehmen schützen. Wird ein Restaurant beispielsweise im Netz im gefälschten, negativen Bewertungen überzogen, die unter Umständen dem Geschäft schaden könnten, können die Daten der Täter ebenfalls an die Betroffenen herausgegeben werden. Die Definition im Eckpunktepapier nennt Avila Gonzalez absurd: „Restaurantkritiken sollen digitale Gewalt sein, aber das Geschlechtsspezifische und der soziale Nahraum sind komplett außen vor, wenn es hauptsächlich um Hatespeech geht.“

„Patriarchale Kontinuität“ im Internet
Ob man die Kritik an der engen Definition digitaler Gewalt im Gesetzentwurf berücksichtigt, wollte man im Justizministerium nicht sagen. Die genaue Ausgestaltung des Anwendungsbereichs und des Umfangs der Regelungen werde aktuell finalisiert, so eine Sprecherin. Es werde dabei insbesondere um Auskunftsverfahren, Accountsperren und Erleichterung der Zustellung in gerichtlichen Verfahren gehen - also um die Punkte, die schon im ersten Papier abgedeckt waren.

Den Betroffenen, von denen Avila Gonzalez berichtet, wird das kaum helfen. Dazu müsste man ohnehin zunächst wissen, wer Betroffene und Täter genau sind. Doch diese Zahlen gibt es in Deutschland nicht, sagt die Juristin: „Das ist ein großes Problem. Die Bundesregierung hat eine Studie zur Lebenssituation von Frauen in Auftrag gegeben. Mit Ergebnissen können wir aber erst im nächsten Jahr rechnen.“ Die Vorgängerstudie sei von 2004, als digitale Gewalt noch kaum ein Thema gewesen sei - oder zumindest nicht so sichtbar. Seit 2017, als das BFF-Projekt gegen digitale Gewalt gestartet sei, wisse man aus den Beratungsstellen, dass sich die Fälle mehrten.

Studien im europäischen Ausland hätten gezeigt, dass besonders junge Frauen und Mädchen oder weiblich gelesene Personen betroffen seien, berichtet Avila Gonzalez. Bei digitaler Gewalt sei die sexualisierte Komponente extrem, nicht nur bei Hassrede, sondern auch bei der Veröffentlichung intimer Fotos. Das betreffe insbesondere auch andere marginalisierte Geschlechter, also Menschen, die trans oder weder männlich noch weiblich seien. Auch ein Migrationshintergrund und schlechte finanzielle Verhältnisse seien Risikofaktoren. „Digitale Gewalt trifft mehrfach diskriminierte Menschen häufiger, härter und spezifischer. Das Internet setzt hier patriarchale Kontinuitäten fort, auch wenn das vielleicht mal ganz anders gedacht war“, so die Juristin.

Mehr Technikbildung für Mädchen gefordert
Das liege auch daran, dass Frauen von klein auf anerzogen werde, dass Technik nichts für sie sei, kritisiert Avila Gonzalez: „Man traut sich nicht so viel zu, es ist viel Überforderung und Angst dabei. Sich dagegen zu wehren, erscheint als etwas Unmachbares.“ Der beste Schutz gegen digitale Gewalt sei Prävention, vor allem in Form von Technikbildung für Mädchen. Die Angst, sich zu wehren, müsse fallen: „Wir müssen unsere technischen Geräte kennenlernen, unsere Einstellungen, es ist gar nicht so schwer. Die meisten Täter sind keine super IT-Nerds und bedienen sich kostenlosen und einfachen Mitteln, denen man ganz gut entgegentreten kann, wenn man sich ein bisschen mit seinen technischen Geräten auseinandersetzt.“

Niedrigschwellige Hilfestellungen zum Thema Cyberstalking finden sich online. Die Haecksen, ein Hacker-Kollektiv, das Frauen, nicht-binäre, inter und trans Menschen vereint, stellen beispielsweise auf antistalking.haecksen.org Anleitungen zur Verfügung, die gegen Cyberstalking helfen können. „Wie sperre ich eine eingehende Rufnummer am Smartphone? Wie lösche ich die gespeicherten Passwörter aus dem Browser? Ist der Fingerabdruck als Sperre sicher?“ Solche Fragen versuchen die Haecksen so zu beantworten, dass es auch für Anfängerinnen und Anfänger verständlich ist. Auch Organisationen wie HateAid, der Weiße Ring oder BFF geben auf ihren Webseiten Tipps zum besseren Schutz vor digitaler Gewalt.