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TV-Duell auf einem Scherbenhaufen

Seit der Neuwahl-Entscheidung wartet der Kanzler darauf, dass die Aufholjagd in den Umfragen endlich beginnt. Bisher vergeblich. Können die TV-Debatten im Wahlkampf-Endspurt noch etwas retten?

Berlin (dpa) − Es ist wie verhext für Bundeskanzler Olaf Scholz und die SPD in dieser heißen Phase des Wahlkampfs. Es kann passieren, was will, aber die Sozialdemokraten kommen in den Umfragen einfach nicht vom Fleck. Selbst die Verabschiedung des Migrationskonzepts der Union mit den Stimmen der AfD − aus Sicht der SPD ein historischer Tabubruch − hat nicht die ersehnte Wende gebracht. Die SPD hängt weiter bei 15 bis 18 Prozent fest − etwas mehr als halb so viel wie die Union.

Was kann Scholz zwei Wochen vor der Wahl noch helfen? Vielleicht die Serie von Fernsehdebatten, die am Sonntag mit einem Duell zwischen Scholz und Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz bei ARD und ZDF beginnt? 

 

Die Ausgangslage: Maximale Konfrontation

 

Das erste Aufeinandertreffen der beiden aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten findet auf einem Scherbenhaufen statt. In der vergangenen Bundestagswoche ist ein Grundkonsens zwischen den sogenannten Parteien der demokratischen Mitte beendet worden. Erstmals hat die Union einen Beschluss im Parlament mit den Stimmen der AfD durchgesetzt. Eine Mehrheit für einen Gesetzentwurf mit konkreten Regelungen bekam sie aber nicht. Stattdessen bot das Parlament eine unrühmliche Debatte, die von Begriffen wie „Schande“, „Sündenfall“ und „Tor zur Hölle“ geprägt war.

 

Die Umfragen: Merz mit großem Vorsprung

 

In den Umfragen hat sich das aber zunächst nicht niedergeschlagen. Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend legten Union und AfD jeweils um einen Prozentpunkt auf 31 und 21 Prozent zu. Die SPD blieb dagegen bei 15 Prozent stabil, die Grünen sackten einen Prozentpunkt auf 14 Prozent ab. Ein wenig mehr Hoffnung brachte der SPD eine YouGov-Umfrage, in der sie von 15 auf 18 Prozent zulegte − aber auch nur, nachdem sie in der Vorwoche vier Prozentpunkte abgestürzt war. Die Union bleibt auch hier mit 29 Prozent klar stärkste Kraft. 

 

Die Strategien: Scholz muss angreifen

 

Scholz hat nichts mehr zu verlieren, er wird angreifen müssen. Die SPD hat den Wahlkampf von Anfang an als ein Duell zwischen dem Kanzler und dem Oppositionsführer verstanden. Gerade nach der vergangenen Woche stellt sie Merz als jemanden dar, dem man nicht über den Weg trauen kann. Es sei sogar denkbar, dass er sich mit Stimmen der AfD zum Kanzler wählen lässt, so die SPD-Erzählung. Merz geht mit der Rückendeckung des CDU-Parteitags und dem Gefühl, alles richtig gemacht zu haben, in die Auseinandersetzung. Er habe gezeigt, dass die Union es ernst meint mit der Bekämpfung der irregulären Einwanderung, so seine Sicht der Dinge. Die Mehrheit der Bevölkerung sieht er hinter sich.

 

Die Themen: Mehr als Migration und AfD

 

Es wird in dem Duell aber um viel mehr gehen als die beiden derzeit im Wahlkampf dominierenden Themen Migration und Umgang mit der AfD. Die Ankurbelung der kriselnden deutschen Wirtschaft stand zum Beispiel mal ganz oben auf der Agenda. Auch die Steuerkonzepte und der Ukraine-Krieg dürften die Fernsehzuschauer interessieren. 

 

Die Moderation: Zwei Talkshow-Urgesteine

 

Zwei Talkshow-Urgesteine sollen dafür sorgen, dass die Themenmischung stimmt: die Moderatorinnen Sandra Maischberger und Maybrit Illner, für die es nicht das erste Kandidaten-Duell vor einer Wahl ist. Der Schlagabtausch wird zeitgleich live ab 20.15 Uhr − eigentlich zur klassischen „Tatort“-Zeit am Sonntagabend − sowohl im Ersten als auch im ZDF ausgestrahlt.

 

Die Regeln: Es läuft keine Uhr mit

 

Die vielleicht interessanteste Regel bei diesem Duell: Es werden laut Sender keine Zeitkonten eingeblendet. „Die Redezeit wird in der Regie gemessen. Bei größeren Ungleichgewichten in der Redezeit wird dies von den Moderatorinnen thematisiert.“ Und: Es wird kein Schlussstatement der beiden Kandidaten, die an Pulten stehen werden, geben.

 

Die Wirkung: Mittel gegen die Ratlosigkeit

 

Experten messen TV-Duellen im Wahlkampf eine wichtige Bedeutung bei. Forsa-Chef Manfred Güllner sieht dieses Mal zugleich eine Besonderheit: „Bei dieser Wahl hat die Inflation von „Kanzlerkandidaten“ zur Entwertung dieses Begriffs geführt und dürfte insofern auch die Bedeutung der Diskussionen zwischen den Kandidaten relativieren.“ Angesichts der „herrschenden Ratlosigkeit vieler Wahlberechtigter“ könnten sie dennoch Einfluss auf die Wahlentscheidung haben.

 

Aus Sicht von Marcus Maurer, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, sind TV-Duelle im Wahlkampf immer noch wichtig, „weil sie den Zuschauern einen direkten, ungefilterten Eindruck von den Kandidaten vermitteln.“ Die Bedeutung habe aber wegen der hohen Frequenz von Sendungen in ähnlichen Konstellationen „wahrscheinlich eher etwas abgenommen“.

 

Fortsetzung folgt: Vierer-Runde in einer Woche

 

In den nächsten zwei Wochen bis zur Wahl am 23. Februar werden die Kanzler- und Spitzenkandidaten in zahlreichen weiteren Fernsehdebatten aufeinandertreffen. Zu einem Novum kommt es nächsten Sonntag (16. Februar): Dann werden Scholz und Merz bei den Privatsendern RTL und ntv in einer Viererrunde auf Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (AfD) treffen. Ursprünglich hatte auch RTL auch ein TV-Duell Scholz-Merz geplant, schwenkte dann aber um.

 

Von Michael Fischer und Anna Ringle, dpa