Multimedia
KNA

Richard Gutjahr warnt vor „Aufhebung der Realität“

Richard Gutjahr warnt vor „Aufhebung der Realität“ Richard Gutjahr (Foto: kress.de)

Die Menschen können zwar immer besser Desinformation und Fakes erkennen, verlieren aber trotzdem das Vertrauen in die Realität, meint der Journalist und Digitalexperte.

Leipzig (KNA) – Der Digitalexperte Richard Gutjahr warnt vor einer verzerrten Wahrnehmung der Realität durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. „Wir können uns gegen Desinformation und Fakes wappnen und darüber aufklären, aber was passiert, wenn wir der Wahrheit nicht mehr glauben?“, fragte Gutjahr am Samstag in Leipzig beim Kongress „Besser Online“ des Deutschen Journalistenverbands (DJV).

 

Die nächste Mobiltelefon-Generation habe generative KI bereits eingebaut und könne so beispielsweise Fotos im Entstehen verändern. „Natürlich ist es schön, wenn alle nett lächeln und niemand auf dem Familienfoto mehr die Augen zu hat“, sagte Gutjahr. „Aber auch das ist ein Stück weit Aufhebung von Realität“. Denn gleichzeitig mit der Kompetenz, „Nicht-Echtes“ zu erkennen, verlören viele Menschen auch das Vertrauen in das, was echt ist.

 

Ein wesentlicher Faktor sei dabei die Dynamik der technologischen Entwicklung, mit der rechtliche und politische Maßnahmen kaum Schritt halten könnten. „Wir haben schon bei der Entwicklung der letzten 20 Jahre ewig gebraucht, bis entsprechende Maßnahmen gegen Hass im Netz oder für Datenschutz eingeführt wurden. Hier müssen wir klar einen Gang zulegen“, so Gutjahr und appellierte: „Leute, bleibt neugierig – es wird immer schneller!“

 

Vertrauen sei dabei mehr und mehr die „Währung der Zukunft, weil ich meinen Augen und Ohren nicht mehr trauen kann“. Dies werde vor allem den Journalismus treffen. „Was nützt mir schon ein Pulitzer-Preis, wenn mir mein Publikum nicht mehr traut“, meinte Gutjahr, der über 20 Jahre lang als Digitalexperte für öffentlich-rechtliche Sender gearbeitet hatte, 2019 aber beim Bayerischen Rundfunk (BR) wegen nach seiner Sicht mangelnder Unterstützung des Hauses gegen Hass und Angriffe von Verwschwörungsmythen-Anhängern, Neonazis und Reichsbürgern seine Tätigkeit beendete. Der BR hatte Gutjahrs Vorwürfe zurückgewiesen.

 

Für Journalisten böte die KI aber auch große Chancen, sagte Gutjahr. So könnten sie durch geschicktes Füttern der KI mit Daten, Fakten und Aussagen von Interviewpartnern deren wahrscheinliche Reaktion im realen Interview üben. Gutjahr demonstrierte dies in Leipzig mit einem fiktiven Björn Höcke, den er mit Aussagen und Interviews des realen Thüringer AfD-Vorsitzenden gefüttert hatte. „Nehmen wir die Bots als Sparringspartner“, so Gutjahr.

 

Es gehe darum, dem eigenen Wissen „noch die KI ‚draufzusetzen‘“ und gerade als Journalist lebenslang dazuzulernen: „Das ist harte Arbeit und klingt nicht so schön wie Resilienz und Empathie“, sagte Gutjahr: „Aber wer nichts kann, dem kann auch die KI nicht helfen.“