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Viele leere Versprechungen um das chinesische KI-System Deepseek

Nichts weniger als das Ende der technologischen US-Vorherrschaft sahen viele gekommen, als Ende Januar eine chinesische Sprach-KI für Schlagzeilen sorgte. Jetzt ist aus dem Hype die Luft raus. Was bleibt übrig?

Bonn - 600 Milliarden Dollar. Vernichtet an nur einem einzigen Tag. Es ist der US-amerikanische Chipkonzern Nvidia, der Ende Januar diesen historischen Kurssturz an der Wall Street hinlegte - der größte Tagesverlust eines Unternehmens in der Geschichte der US-Börse. Auslöser war das chinesische Start-up Deepseek, das kurz zuvor ein KI-Sprachmodell veröffentlicht hatte, das es mit der großen Konkurrenz aus den Vereinigten Staaten aufnehmen wollte.

 

Die Aufregung war riesig: Deepseek soll angeblich viel kosten- und energieeffizienter sein als die US-Konkurrenz von Open AI und Meta ChatGPT und , außerdem bezeichnen die Entwickler ihr Modell selbst als Open Source, weil sie mehr technische Informationen öffentlich machen als andere KI-Unternehmen. Beobachter interpretierten Deepseek als "Sputnik-Moment" der KI, also den Moment, an dem die USA feststellen, dass ihnen eine andere Macht technologisch den Rang abzulaufen droht.

 

Nur wenig später hat sich der Rauch weitestgehend verzogen. Zahlreiche Tests zeigen, dass auch Deepseek nicht das Ende der Fahnenstange der KI-Entwicklung ist - zumal die Kritik an dem Modell aus verschiedenen Gründen zunimmt. Was also bleibt übrig vom Mega-Hype?

 

Ein Dieb wird beklaut

 

Offenbar lässt sich Deepseek tatsächlich effizienter trainieren als andere KI-Modelle, sowohl was die anfallenden Kosten als auch was den Energieverbrauch angeht. Die Angaben des Konzerns selbst, der angeblich nur sechs Millionen Euro für die Entwicklung ausgegeben haben will, werden inzwischen allerdings kritisch gesehen. Auch die Angaben zur Energieeffizienz stellen Expertinnen und Experten mittlerweile in Frage. Technisch neu sind die Ansätze des Unternehmens zudem ohnehin nicht.

 

Und die Konkurrenz kontert die Versprechungen von Deepseek robust - und mit Vorwürfen, die weitere Fragenzeichen aufwerfen. Die US-amerikanische KI-Firma OpenAI wirft Deepseek vor, sich für das Training bei ihrem Programm ChatGPT bedient und dessen Modelle genutzt zu haben. Zwar wirkt die Anschuldigung aus dem Mund von OpenAI-Vertretern, die wegen ChatGPT selbst im Zentrum zahlreicher Urheberrechtsklagen stehen, ein wenig ironisch. Doch ganz abseits der urheberrechtlichen Fragen verhagelt das angebliche Training mit dem energieintensiven ChatGPT natürlich auch Deepseek die Klimabilanz.

 

Auch das Open-Source-Versprechen hält Deepseek bei genauerem Hinsehen nur teilweise ein. Im Herbst vergangenen Jahres hatte die Open Source Initiative die erste Definition für Open-Source-KI veröffentlicht. Demnach müssen die KI-Entwickler den Quellcode der Anwendungen, Details über das Training der Modelle und detaillierte Informationen über die Trainingsdaten offenlegen, beispielsweise über deren Herkunft.

 

Nachholbedarf bei Transparenz

 

Mit der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, insbesondere durch den Fortschritt bei großen Sprachmodellen, waren die herkömmlichen Open-Source-Standards, die Software erfüllen musste, um das Label tragen zu können, nicht mehr ohne Weiteres anwendbar. Besonders die Rolle der Trainingsdaten kam neu hinzu, die für die KI-Entwicklung unabdingbar sind. Die neue Definition legt nun fest, dass die Daten nicht geheimgehalten werden dürfen, wenn eine Anwendung das Label Open Source für sich in Anspruch nehmen will.

 

Genau diese Voraussetzung erfüllt Deepseek aber nicht. Weder die Trainingsdaten noch der Quellcode der Anwendung sind einsehbar. Lediglich die Architektur des Modells und die Gewichtungen, nach denen die Anwendung Entscheidungen trifft, sind öffentlich zugänglich. Weitergehende Transparenz scheint auch für Deepseek kein Thema zu sein - zumal eine Veröffentlichung der Trainingsdaten und des Quellcodes ja auch Futter für Datenschutz- und Urheberrechtsklagen wären.

 

An den Börsen hatte die Information, das Modell sei Open Source, dennoch für Unruhe gesorgt. Denn welche Firmen, welche Behörden, welche Privatpersonen sollen sich einen teuren Zugang zu einer US-amerikanischen Sprach-KI zulegen, wenn sie das chinesische Modell kostenlos nutzen können?

 

Zensurvorwürfe gegen China

 

Wobei auch das wohl nur dann gilt, solange sie mit der KI nicht zu Themen arbeiten wollen, die der chinesischen Staatsideologie widerstreben. Viele Versuche von Journalistinnen und Journalisten zeigten, dass Deepseek zwar auf viele Fragen eine mehr oder weniger qualifizierte Antwort geben kann, bei Themen wie Tibet, Taiwan und dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz jedoch wortkarg wird. Das ist nicht überraschend: Chinesische Technologie-Produkte unterstehen chinesischen Gesetzen, die von ihnen ein gewisses Maß an Loyalität zur kommunistischen Partei verlangen. KI-Sprachmodelle sind hier keine Ausnahmen.

 

Dass Deepseek auch noch offenbar Nutzerdaten aus seiner App unverschlüsselt an chinesische Server übermittelt, die ausgerechnet vom TikTok-Mutterkonzern Bytedance kontrolliert werden, erscheint ebenfalls besorgniserregend. All diese Punkte führten dazu, dass der Hype rund um Deepseek sehr schnell abkühlte. IT-Sicherheitsprobleme führten dazu, dass die Neuanmeldungen zwischenzeitlich gestoppt werden mussten, erste Datenschutzbehörden in Europa gehen gegen die Anwendung vor. Und auch die Börsennotierungen des Chiphersteller Nvidia sind wieder einigermaßen auf Kurs.

 

Viel Aufregung um nichts also? Nicht ganz. Denn die Vorgänge ermöglichen einen Blick auf ganz grundsätzliche Probleme, mit denen die Technik und die Branche, die um sie herum entstanden ist, kämpfen.

 

Offene Fragen bei Urheberrecht und Ressourcen

 

Da wäre die Problematik des Urheberrechts. Führungskräfte von KI-Unternehmen geben mittlerweile selbst zu, dass es gar nicht möglich wäre, Anwendungen wie ChatGPT und vergleichbare Modelle zu entwickeln, ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen. Die Frage nach der Vergütung von Urheberinnen und Urhebern, seien es Autoren, Fotografen, Musiker, bildende Künstler oder andere, ist vollkommen ungeklärt - während der Niedergang vieler Branchen und Berufsfelder bereits in vollem Gange ist. Dass Deepseek sich nun offenbar unerlaubterweise bei der KI-Konkurrenz direkt bedient, ist nur eine weitere absurde Anekdote dieses Spiels.

 

Auch die Ressourcenfrage ist offen. Die Branche braucht nicht nur Energie und Wasser, sondern auch Lithium und seltene Erden, deren Abbau in Ländern des globalen Südens oft die Umwelt zerstört und zulasten der einheimischen Bevölkerung und indigener Gruppen geht. Es gibt keine glaubwürdigen Bestrebungen, dieses Problem zu adressieren - vor allem vor dem Hintergrund der Klimakrise. Zwar ist das Potenzial für technische Weiterentwicklungen durchaus gegeben - auch das zeigt der Hype um Deepseek. Ob das allerdings ausreichen wird, um die klimaschädliche Gesamtbilanz von Künstlicher Intelligenz auszugleichen, wird von vielen Fachleute bezweifelt.

 

Das Blaue vom Himmel

 

Klar ist auch: Deepseek ist nur eine weitere Umdrehung eines viel größeren Hypes, der generative KI ganz insgesamt umfasst und der von der Veröffentlichung von ChatGPT 2022 ausgelöst wurde. Seitdem versprechen KI-Firmen das Blaue vom Himmel und Investoren pumpen so viel Geld in die Branche, dass es für Expertinnen und Experten unmöglich ist, zu beurteilen, welche Anwendungen neben einem sinnvollen Anwendungsfeld auch noch ein funktionierendes Geschäftsmodell haben. Wem einzelne KI-Firmen als Anlageobjekt zu riskant waren, der setzte auf die Hardware-Grundlage, auf die alle KI-Anwendungen angewiesen zu sein schienen: Hochleistungschips von Nvidia.

 

Als nun ein Unternehmen um die Ecke kam und versprach, dieselben Ergebnisse auch ohne die Chips liefern zu können, sahen viele Investoren ihre Felle davonschwimmen und bescherten Nvidia, dem bis dahin wertvollsten Unternehmen der Welt, den oben beschriebenen Rekordverlust. Eine Entwicklung, die in der Volksrepublik für Freude gesorgt haben dürfte. Denn die USA hatten in den vergangenen Jahren den Export von KI-Chips nach China immer weiter eingeschränkt und die dortige KI-Industrie damit vor massive Herausforderungen gestellt. Herausforderungen, die Deepseek nun angeblich gemeistert haben soll.

 

Jana Ballweber / KNA