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Flensburg: Wie geht es der „Wirklich“ wirklich?

Flensburg: Wie geht es der „Wirklich“ wirklich? Simone Lange (Foto: simonelange.de)

Schon wenige Wochen nach dem Start wurde die Auflage reduziert. Das Zeitungspapier ist dünner, die Schrift größer. Wie es unter Blatt-Chefin Simone Lange weitergeht.

Flensburg – Eine neu gegründete Zeitung? In diesen Zeiten? Auf Papier? In Flensburg wurde das vor einem Jahr gewagt, berichtet das „medium magazin“.

 

Im Mai 2023 erschien die erste Ausgabe der „Wirklich“, eine 16-seitige Wochenzeitung zum stolzen Preis von 2,70 Euro bei einer ambitionierten Auflage von 15.000 Exemplaren. Und das, obwohl es in der Fördestadt mit knapp 100.000 Einwohnern schon das „Flensburger Tageblatt“ (Auflage: 16.800) und die vom dänischen Staat finanzierte, dänischsprachige „Flensborg Avis“ (4.500) gibt. Nach einem Jahr fällt die Bilanz bescheiden aus: Schon wenige Wochen nach dem Start wurde die Auflage auf 2.500 reduziert. Das Zeitungspapier ist dünner, die Schrift größer.


Hinter dem hyperlokalen Zeitungsprojekt steckt Simone Lange, bis zu ihrer Abwahl 2022 Oberbürgermeisterin von Flensburg. Bundesweit Bekanntheit erlangte die 47-jährige Politikerin durch ihre Kandidatur für den SPD-Vorsitz. Mit der Presse hatte sie als Objekt der Berichterstattung also Erfahrung – was das „Flensburger Tageblatt“ (FT) betrifft: keine gute. Es heißt, Lange habe sich von ihrer Heimatzeitung aus dem Amt geschrieben gefühlt. 2022 erstritt sie eine Gegendarstellung im Blatt aus dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (sh:z). Die eigene Zeitungsgründung lässt sich als Reflex auf die kritische FT-Berichterstattung interpretieren.

 

Selbst Verlegerin zu sein, war für Lange indes Neuland. Über ihre Motivation sagte sie gegenüber der FAZ, „nicht vorhandener Lokaljournalismus“ führe dazu, „dass Leute nicht mehr wählen gehen“. Sie tue etwas, „das die Demokratie stärkt“, und sorge für Medienvielfalt. Konkurrenz in Einzeitungskreisen ist grundsätzlich zu begrü.en, das finanzielle Risiko aber groß. Die Basis von „Wirklich“ schuf die Gründerin mit eigenem Vermögen.

 

Die Geschäftsführung übergab sie im Februar an Marcel Lettmann, der sonst mit Werbung auf Großdisplays Geld verdient. Ihm zufolge ist der Anspruch von „Wirklich“ nach wie vor, die Einnahmen in  erster Linie aus Abonnements zu erzielen und den Werbeanteil „deutlich geringer“ zu halten als den redaktionellen. Seit Jahresbeginn könne die Zeitung „längerfristig planen als nur bis Monatsende“, sagt Lettmann, schränkt aber ein: „Es wäre schön, wenn wir bis Ende 2024 sicher wären. Dies ist aber noch nicht so.“

 

Im März wurde ein Mitarbeiter für Vertrieb und Marketing neu eingestellt. Von den inzwischen sechs Festangestellten sind drei journalistisch tätig, darunter eine Seiteneinsteigerin aus der systemischen Paartherapie. Chefredakteurin ist Lange. Kurz vor dem Jubiläum ließ sie sich in der „Wirklich“ auf einer Doppelseite interviewen.

 

Im Interview spricht sie von Herausforderungen und dass „vieles ganz anders gekommen ist“, als sie gedacht habe. Die Belohnung sei, „dass die Flensburgerinnen und Flensburger die Zeitung annahmen“. Dass sich gerade Langes gute Drähte ins Rathaus nicht in ihrem Blatt spiegeln, vermissen einige. Durch Exklusives, etwa zum heißen lokalen Thema „Hafen Ost“, fiel die Zeitung bisher jedenfalls nicht auf. Und das könnte das größte Problem sein: dass die „Wirklich“ den lokalen Medien vor Ort journalistisch bisher nicht wirklich etwas entgegenzusetzen hat.

 

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