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KNA – Steffen Grimberg

Lokalzeitungen sehen sich für digitalen Wandel gut aufgestellt

Die Prognose, bis 2025 könnten 40 Prozent der Lokalteile verschwinden, sei falsch, sagt der Vorsitzende des Verbands der Lokalzeitungen und Lokalmedien, Kai Röhrbein. Bei der Digitalisierung sei man dank leicht zu erwerbender Software mit den großen Häusern mittlerweile gleichauf.

Berlin – Die „Walsroder Zeitung“ erscheint seit 1867 im Südlichen Heidekreis in Niedersachsen. Ihr Verlag ist Mitglied im Verband der Lokalzeitungen und Lokalmedien (VDL), der rund 70 kleinere Tageszeitungen vertritt. Aktuell liegt die Auflage des Blattes bei rund 10.000 Exemplaren. Unkenrufen, der Lokaljournalismus stünde vor dem Aus, kann ihr Geschäftsführer Kai Röhrbein, der auch VDL-Vorsitzender ist, nichts abgewinnen.

 

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat sich am Mittwoch bei Ihrem Branchentreff zur eigentlich schon mehrfach beerdigten Vertriebsförderung für die Presse geäußert. Er will nun noch einmal prüfen, was möglich ist. Keimt da bei Ihnen neue Hoffnung auf?
Kai Röhrbein: Herr Lindner hat sich auf jeden Fall sehr wertschätzend gegenüber uns Verlegern und unserer Aufgabe geäußert. Und er hat in der Tat gesagt, dass er beim Thema Vertriebsförderung bereit wäre, ein ihm noch vorzulegendes Konzept zu prüfen. Er hat auch gleich nachgeschoben, dass geschaut werden müsste, welche Mittel denn überhaupt zur Verfügung ständen. Aber - und das war für uns neu - es hat zumindest ein Signal gegeben, dass da noch etwas unterwegs ist.

 

Dafür hat der Finanzminister der von allen Verlegerverbänden geforderten Streichung der Mehrwertsteuer auf Presseprodukte die kalte Schulter gezeigt. Sehen Sie da trotzdem noch Chancen?
Wir werden die Forderung so lange aufrechterhalten, wie wir glauben, dass es Aussicht auf Erfolg hat. Es gibt in Europa genügend Beispiele für einen Mehrwertsteuersatz „0“.

 

Lindner hat in Sachen Vertriebsförderung auch gleich erklärt, eine flächendeckende Förderung könne es hier nicht geben. Vielmehr sollten nur Verlage in besonders betroffenen Gebieten im dünn besiedelten ländlichen Raum unterstützt werden. Sind da nicht sofort wieder Klagen zu erwarten, weil nicht alle etwas abbekommen?
Die Gefahr sehe ich auch, aber man kann das in den Griff kriegen. Lindner hat ja recht, wenn er sagt, dass es beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Bevölkerungsdichte und damit auch der logistische Aufwand pro Abo-Zustellung ungleich höher ist, anders aussieht als in Düsseldorf-Mitte. Es macht zudem keinen Sinn, dass profitable Verlage auch noch Förderungen bekommen. Aber wir haben mit der Auflagenkontrolle der IVW ein Instrumentarium, das sehr neutral Auflagen prüft - und diese könnte man auf die regionale Abdeckung umrechnen, um Kriterien zu haben, wer gefördert wird und wer nicht.

 

Allerdings haben immer mehr Verlage der IVW den Rücken gekehrt oder weisen dort ihre Auflagen nur noch insgesamt über mehrere Titel aus und nicht mehr wie früher für jede Lokalausgabe.
Das ist dann aber deren Entscheidung. Das Angebot steht allen zur Verfügung, und ich halte die IVW für kein schlechtes Mittel, um solche Zurechnungen neutral zu erfassen.

 

Wie geht es denn den kleinen, selbstständigen Lokalzeitungen, die Ihr Verband vertritt, aktuell? Zum Tag der Pressefreiheit haben Sie vor der fortschreitenden Pressekonzentration im Lokalen gewarnt - es sei nicht mehr „fünf vor 12, sondern schon 1 Uhr“, hieß es in Ihrer Pressemitteilung.
Die Gefahr, dass der Konzentrationsprozess weiter zunimmt, ist real. Warum gerade lokale Verlage aufgeben, hat im Einzelnen sehr unterschiedliche Gründe. Mal sind es finanzielle Engpässe und steigende Kosten. Mal ist es einfach der Fall, dass für ein Unternehmen keine Nachfolge gefunden werden kann. Da kann man nicht alle über einen Kamm scheren.

 

Welche Forderungen haben Sie hier an die Politik? Das Bundeskartellamt legt ja in jüngster Zeit bei Fusionen und Übernahmen längst nicht mehr so strenge Maßstäbe an wie noch vor zehn Jahren.
Wir wollen als Lokalzeitungsverleger nicht die ganze Zeit meckern und schon gar nicht um Almosen bitten. Wir sind eigentlich immer der Meinung gewesen, dass wir uns von staatlicher Förderung möglichst fernhalten wollen. Aber uns jetzt noch Knüppel zwischen die Beine zu werfen, wie beispielsweise bei der angedrohten Erhöhung des Mindestlohns über das hinaus, was die zuständige Kommission empfiehlt, geht zu weit. Das hätte auf die Lieferung von Tageszeitungen im ländlichen Raum erheblichen Einfluss und würde weiter dazu beitragen, dass es dort immer schwieriger wird, unseren Vertrieb aufrecht zu halten.

 

Wie sieht es für kleinere Verlage mit der digitalen Transformation aus? Sie können ja nicht wie die großen Medienhäuser mal eben große IT-Abteilungen aufbauen oder selbst Software entwickeln …
Da sind wir - auch bei unserer Zeitung, der „Walsroder Zeitung“ - aktuell in einer besseren Situation als vor fünf oder zehn Jahren. Heute lässt sich die Software, die wir brauchen, überall kaufen oder anmieten. So können auch wir an den neuesten Entwicklungen im digitalen Bereich teilhaben und Angebote wie viel größere Verlage machen. Das war vor ein paar Jahren noch anders, hier hat eine Art Demokratisierung stattgefunden.

 

Die „Walsroder Zeitung“ ist also in der digitalen Welt angekommen?
Wir erleben die ganz typische Entwicklung. Bei der gedruckten Tageszeitung haben wir es mit Auflagenverlusten im niedrigen einstelligen Bereich zu tun. Gleichzeitig freuen wir uns über zweistellige Zuwächse beim E-Paper und unseren digitalen Plus-Angeboten. Wir investieren gerade eine ganze Menge in moderne Software, auch was das Thema Aboverwaltung angeht. Und vor allem investieren wir weiterhin in lokalen Journalismus. Denn wir müssen gerade lokal ein super Produkt anbieten, um eine Akzeptanz im digitalen Markt zu finden.

 

Welche Rolle spielt dabei Künstliche Intelligenz?
Wir sind im Moment dabei, mit einer Agentur zu testen, ob uns Künstliche Intelligenz bei gewissen Arbeitsschritten in der Redaktion den Alltag erleichtern kann. Wenngleich wir da auch vorsichtig sind und gerade Regeln für den Umgang mit KI für unser Haus festlegen. Wenn es am Ende heißt, eine Lokalzeitung wie die „Walsroder Zeitung“ würde nur noch mit irgendwelchen Robotern erstellt werden, bekämen wir massive Probleme mit unserer Glaubwürdigkeit - doch das ist unser höchstes Gut.

 

Die auf Zeitungsverlage spezialisierte Beratungsfirma Schickler (heute Highberg) hatte vor genau vier Jahren in einer Studie prophezeit, dass bis 2025 rund 40 Prozent aller Lokalzeitungen bzw. Lokalteile nicht mehr rentabel wären und vor der Einstellung stünden. Gilt der Befund weiterhin oder hat sich die Lage verbessert?
Das sehe ich völlig anders, weil wir auch ein paar Jahre weiter sind und die Lokalverlage im digitalen Bereich wie beschrieben deutlich zulegen konnten. Wir sind zwar immer noch nicht so weit, dass durch digitales Wachstum die Umsatzeinbrüche im Printbereich komplett aufgefangen werden. Aber dass nächstes Jahr 40 Prozent der lokalen Tageszeitungen nicht mehr rentabel wären oder vor dem Aus stünden, sehen wir aktuell nicht.

 

Die Verlagsgruppe Madsack verzichtet in einigen Regionen Brandenburgs bereits auf die Zustellung der gedruckten Zeitung und hat den digitalen Umstieg mit einer umfangreichen Einführungsstrategie begleitet. Dabei wurden die Leser auch gefragt, was sie heute vom Lokaljournalismus erwarten. Das Ergebnis sah deutlich anders aus, als es viele Lokalteile heute immer noch tun.
Hier haben wir als kleiner Verlag den Vorteil, keinen großen Überbau zu haben. Für uns ist es keine Herausforderung, nah bei unseren Lesern zu sein. Wir sind das jeden Tag und machen in Walsrode - natürlich auf einem ganz anderen Niveau - immer wieder Runden mit Lesern und Nichtlesern. Da fragen wir dann, was erwartet ihr von uns, seid ihr zufrieden mit dem Angebot - und finden natürlich immer wieder neue Dinge heraus und greifen Ideen auf.

 

Werfen wir zum Schluss den Blick in die Zukunft. Wie wird es denn in fünf Jahren um die Lokalpresse bestellt sein? Eine Studie aus den USA prognostizierte in den 1990ern ja für 2030, in diesem Jahr erschiene die letzte gedruckte Zeitung der Welt in der Mongolei...
Bei unserem Kongress habe ich eine Verlegerschaft erlebt, die total motiviert ist und für die es ein großes Privileg darstellt, publizistisch tätig zu sein. Wir kämpfen alle dafür, lokalen Journalismus aufrecht zu halten. Ich bin optimistisch, dass wir auch im Jahr 2030 Wege und Mittel finden, weiterhin für die Menschen in und aus unserer Region berichten zu können und zu verhindern, dass Nachrichtenwüsten entstehen. Was mein eigenes Haus angeht, rechne ich damit, dass wir in den nächsten Jahren die Anzahl der Erscheinungstage reduzieren. Vielleicht haben wir in fünf oder zehn Jahren nur noch eine gedruckte Wochenendausgabe. Aber dass wir rein digital dastehen, das dauert ein paar Jahre länger.