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Besser schreiben: 4 Irrtümer über das Porträt

Besser schreiben: 4 Irrtümer über das Porträt Tipps für die Allzweckwaffe Porträt.

Wie können Journalisten verhindern, sich in einen Pressesprecher des Porträtierten zu verwandeln?

Frankfurt – Es scheint, als sei das Porträt in den vergangenen Jahren zu einer journalistischen Allzweckwaffe geworden. Selbst in den Wirtschaftsteilen, die sich auch mangels Kooperation von Unternehmern und Managern lange zierten, Porträts zu veröffentlichen, wimmelt es inzwischen davon. Wann immer ein Thema nicht konkret genug entwickelt ist oder die Zeit für eine vernünftige Recherche fehlt, wird kurzerhand „der Mensch dahinter“ porträtiert. Das Ergebnis ist immer dasselbe: eine Sammlung wenig origineller, selbstreferenzieller O-Töne. Ohne es zu bemerken, hat sich der Journalist in einen Pressesprecher des Porträtierten verwandelt. Es gilt daher, mit ein paar Irrtümern aufzuräumen:

 

Irrtum 1: Leser lesen am liebsten Porträts

Die Leserforschung widerlegt dies. Entscheidend für gute Quoten ist stets das Thema und hierbei vor allem der Wiedererkennungseffekt – also die Frage, ob sich der Leser schon einmal mit dem Thema des Texts beschäftigt hat. Je intensiver er dies tat und je kürzer dies zurückliegt, umso besser. Ob ein Medium dem Leser dann am besten eine Grafik, einen Text voller Fakten oder ein Porträt serviert, hängt ausschließlich am Thema. Je mehr einzelne Protagonisten oder bekannte Gesichter in den Vordergrund drängen, je mehr Handelnde und deren Motive wichtiger erscheinen als Fakten und deren Bewertung, umso eher eignet sich das Porträt.

 

Irrtum 2: Jeder Mensch ist ein Porträt wert

In manchen Regionalzeitungen werden regelmäßig „Menschen in unserer Stadt“ porträtiert. Die verlegerische Idee dahinter ist so alt wie untauglich: Wenn jeder Leser mindestens einmal pro Jahr in der Zeitung erscheint, bezieht er aus Dankbarkeit ein Abonnement. In Wirklichkeit bedeutet ein einzelner, womöglich glücklicher Porträtierter häufig eine Quote, die gegen null tendiert. Interessant sind Menschen nicht bloß deshalb, weil sie in unserer Nähe leben, und erst recht nicht, wenn sie eine einigermaßen normale Vita haben. Die Literatur hat Archetypen geschaffen, an denen sich ein Porträtautor gut orientieren kann: Steckt in der porträtierten Person ein Sisyphos, ein Odysseus, ein Ödipus? 

 

Irrtum 3: Ein Porträt ist eine Kurzbiografie

Daraus folgt, dass der Autor eines Porträts sich auf wesentliche Ereignisse, Eigenschaften und Aussagen beschränken sollte. Dass er in aller Regel keine Bonsai-Biografie schreiben sollte, sondern einen Text, der punktgenau herausarbeitet, was an der Vita seines Protagonisten für die Leser relevant sein könnte. Während die Biografie einem Gemälde ähnelt, gleicht das journalistische Porträt der Karikatur. Die Kunst des Weglassens ist gefragter als der Eifer des Sammelns.

 

Irrtum 4: Das Porträt ist eine Darstellungsform

Wer sich bei der Recherche damit begnügt, den Porträtierten zu interviewen, beraubt sich zudem ohne Not der Vielfalt, die das journalistische Porträt bietet. Dabei bietet sich für das Porträt das gesamte Spektrum journalistischer Textformen an. Neben dem rein nachrichtlichen Lebenslaufporträt, gibt es Feature-Porträts, Reportage- Porträts, Porträts kommen als Kommentar oder Glosse daher, gelegentlich sogar im Gewand eines Wortlaut-Interviews. Das Porträt ist eine Absicht, keine Darstellungsform.

 

Zu den vier Irrtümern zeigt die „Journalisten-Werkstatt“ von Peter Linden und Christian Bleher, welche Recherche für Porträts notwendig ist, und welche Textformen geeignet sind. Zudem geben Experten wertvolle Tipps zum Gelingen eines Porträts.

 

In der „Journalisten-Werkstatt“-Reihe „Besser schreiben“ sind zudem erschienen. „Das Interview“, „Der Kommentar“, „Die Glosse“ und „Der Essay“.