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Emilia Smechowski und Sascha Chaimowicz: „Einhelligkeit ist Gift für eine Redaktion“

Emilia Smechowski und Sascha Chaimowicz: „Einhelligkeit ist Gift für eine Redaktion“ Emilia Smechowski und Sascha Chaimowicz (Foto: Maximilian Virgili)

Ein Heft wird, in Präsenz produziert, sehr viel besser, sagen die beiden neuen Chefredakteure des „Zeit-Magazins“. An welchen Stellschrauben die zwei nun drehen und was das mit Kevin Spacey zu tun hat.

Hamburg – Die neue Doppelspitze des „Zeit-Magazins“, Emilia Smechowski und Sascha Chaimowicz, über paradiesische Arbeitsumstände, Kevin Spacey und die Lust an der Abweichung im Interview mit Rupert Sommer für das neue „medium magazin“.

 

Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit in der Doppelspitze? Ticken Sie immer gleich?

Sascha Chaimowicz: Eines unserer Prinzipien lautet: Einhelligkeit ist Gift für eine Redaktion. Auch für eine Chefredaktion. Wir versuchen, eine gewisse Lust an der Abweichung zu kultivieren.

 

Wie meinen Sie das konkret?

Chaimowicz: Die Leute im Team müssen wissen, dass es immer auch Gegenpositionen gibt, die man sich anhören sollte. Ein Beispiel: Die Entscheidung des höchsten US-Gerichts, das Recht auf Abtreibung abzuschaffen, hat in Deutschland verständlicherweise Entsetzen ausgelöst, nicht nur im linken, progressiven Lager. Wir haben lange diskutiert und kamen letztlich auf die Idee, ein Interview mit einer intellektuellen, konservativen Aktivistin aus den USA zu führen, die mit guten Argumenten erklärte, warum sie die Entscheidung richtig fand. Wir wollen ein weltläufiges, vielfältiges Magazin sein, das nicht nur um die eigenen Gewissheiten und Überzeugungen kreist. Und deshalb freuen wir uns, wenn jemand auch mal eine kontroverse Position bezieht. Das gilt für uns beide genauso. Nichts ist langweiliger als viele Menschen auf einem Haufen, die die gleiche Meinung haben.

 

Wie organisiert man so etwas Komplexes wie Kreativität und Kontroverse überhaupt? Mussten Sie dazu neue Runden etablieren – digital wie „real“?

Emilia Smechowski: Was die Runden angeht: Die versuchen wir jetzt, nach der Pandemie mit ihrem Konferenzmarathon, eher zu reduzieren. Es mag banal klingen, stimmt aber trotzdem: Ein Heft wird, in Präsenz produziert, sehr viel besser. Und macht auch glücklicher. Egal, ob wir an der Kaffeemaschine über die Dramaturgie eines Textes reden oder darüber klagen, dass zu Hause wieder alle Kinder krank sind. Chaimowicz: Ich bin überzeugt davon, dass über den Monitor gerade das Ausgefallene, ein bisschen Verrückte und Spontane eher ausbleibt. Digitale Runden mit dem In-die-Kamera-Sprechen sind für eine Redaktion verkrampfend. Es hilft ungemein, wenn alle in einem Raum sitzen und sich in die Augen schauen.

 

 

Angesichts nahezu paradiesischer Arbeitsumstände und der vielen kreativen Kräfte, die Sie umgeben: Lähmt Sie das nicht vielleicht sogar darin, überhaupt noch Veränderungen anzuschieben?

Smechowski: Nein. Es wäre gelogen, wenn wir sagen würden, wir sind mit jedem Heft zu 100 Prozent zufrieden. Wir haben in der Redaktion eine Fehlerkultur etabliert, in der wir uns gegenseitig auch hart kritisieren, das gehört in kreativen Berufen dazu. Wer sich für großartig hält, wird schnell schlechter. Aktuell gibt es zwei Stellschrauben, an denen wir mit dem Team immer wieder drehen.

 

Welche denn?

Smechowski: Mehr Emotionalität und mehr Mut. Wir haben festgestellt, dass wir natürlich besonders gut sind, wenn wir von Dingen erzählen, die uns persönlich nicht loslassen. Das sind die persönlichen, sehr emotionalen Geschichten im Heft. Ich wünsche mir, dass wir manchmal noch mehr Obsession entwickeln, die sich dann auch auf unsere Leser überträgt. Gleichzeitig wollen wir jede Woche so etwas wie Störmomente ins Heft holen.

 

Emotionaler und mutiger also?

Smechowski: Ein Magazin, das nur bestätigt, was ich eh schon denke, ist kein gutes Magazin. Wie langweilig, wenn ich beim Lesen ständig nur nicke! Wir wollen unsere Leser herausfordern. Texte dürfen durchaus mal wehtun. Journalismus ist kein Safe Space. Das ist nicht seine Aufgabe.

Chaimowicz: Heutzutage hört man ja häufiger den Vorwurf an uns Journalisten: Warum gebt ihr ausgerechnet dieser kontroversen Person eine Plattform?

 

Kevin Spacey, gegen den der Vorwurf der sexuellen Belästigung erhoben wurde?

Chaimowicz: Zum Beispiel. Auch bei diesem Interview wurden wir gefragt, warum wir ihm – noch vor seinen jüngsten Entlastungen vor Gericht – denn eine Bühne geben. Das ist für den Journalismus ein gefährliches Argument. Wenn man dem folgt, dann hat man es journalistisch nur noch mit Leuten zu tun, die man irgendwie nett und okay findet. Das ist am Ende auch für die Demokratie gefährlich.

 

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