Vermischtes
KNA – Steffen Grimberg

Fußball-EM: Nicht die ARD-Umfrage ist rassistisch, sondern ihr Ergebnis

Fußball-EM: Nicht die ARD-Umfrage ist rassistisch, sondern ihr Ergebnis Sportschau-Doku „Einigkeit und Recht und Vielfalt“

Kurz vor Beginn der Europameisterschaft erhitzt eine ARD-Doku die Gemüter. Doch was manche als Foul empfinden, ist bei näherem Hinsehen ein Volltreffer -– der morgen, Mittwoch im Ersten läuft.

Berlin (KNA) – Die Doku „Einigkeit und Recht und Vielfalt – Die Nationalmannschaft zwischen Rassismus und Identifikation“, die am Mittwoch im Ersten (21.30 bis 22.15 Uhr) und bereits jetzt in der ARD-Mediathek läuft, ist eine – Vorsicht, Wortwitz – runde Sache. Philipp Awounou geht hier der Geschichte der deutschen Fußball-Nationalelf seit den 1990er-Jahren nach und stellt fest: So wie das Einwanderungsland Deutschland immer bunter, vielfältiger und multikultureller wurde, vollzog das – mit einigem zeitlichen Abstand – auch der Spitzenfußball nach. Dabei war Fußballdeutschland anders als England oder Spanien noch lange sehr deutsch, bei der WM 2010 in Südafrika war angesichts der buntdeutschen Truppe auf dem Platz noch von der „Internationalmannschaft“ die Rede.

 

1997 musste sich der damals für Hannover in der dritten Liga spielende Gerald Asamoah noch ganz andere Sachen anhören, nicht nur, aber vor allem bei einem Aufstiegsspiel gegen Cottbus. Doch „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ macht sehr deutlich, dass es sich dabei nicht nur um ein ostdeutsches Problem handelt(e).

 

Awounou führt als sparsam eingesetzter Presenter klug und offen durch den Film. Präsentiert Folgerungen und Anmerkungen als seine Sicht und formuliert sehr offen, dass andere dies ganz anders sehen könnten. In der Kernfrage bleibt der Film aber klar – und das ist auch gut so: Rassismus wird klar benannt. Aussagen wie „Ein Afrikaner kann kein Deutscher sein. Deutscher Staatsbürger ja, aber kein Deutscher – das ist doch logisch“ werden als der Stuss entlarvt, der sie sind. (Wie viel „Lehre“ aus der Zeit des Nationalsozialismus bei solchen Sichtweisen immer noch fortwabert, wäre eine eigene Doku wert.)

 

„Mehr Nationalspieler mit weißer Hautfarbe“

Das Runde geht aber nicht ohne Kontroverse ins Eckige. Denn der produzierende WDR unterfütterte die Aussagen noch mit einer repräsentativen Infratest-Dimap-Umfrage, deren erste vom Sender am Samstag veröffentlichte Zusammenfassungen nach Meinung mancher ein grobes Foul enthielt. Was aber nichts an der bedenklichen Aussage ändert: Dass die Nationalelf bei der am 14. Juni startenden EM vielfältiger denn ja ausfällt, finden 66 Prozent der Befragten gut – 21 Prozent aber nicht. Sie wünschen sich „mehr weiße Spieler“, was schlicht traurig ist. Denn ein solcher Wert ist happig hoch. Ist eine solche Umfrage „rassistisch“, wie nun Bundestrainer Julian Nagelsmann erklärt?

 

Nein, nicht die Umfrage. Sondern das Ergebnis. Und es ist wichtig, dass solche Fragen im vermeintlich ach so unpolitischen Sport gestellt werden. Sport bietet die Chance, Gräben zu überbrücken, Menschen zu integrieren, Gemeinschaft und Zugehörigkeit zu schaffen. Aber immer im Rahmen der darum herum herrschenden gesellschaftlichen Stimmung(en).

 

„Die haben mich unter der Gürtellinie beschimpft, gewisse Wörter, die ich am liebsten gar nicht sagen würde. Auch das N- Wort ist tausendmal gefallen“, sagt Asamoah, heute 45, in der Doku: „Das war einfach Normalität.“ Shkodran Mustafi,

 

Sommermärchen mit Fragezeichen

Und auch wenn es viele vielleicht ärgert: Der Film entzaubert ein bisschen das Sommermärchen von 2006, als der „inklusive Patriotismus“ über Deutschland hereinbrach und sich in der Erinnerung vor allem auf bewimpelten Autos niederschlug. „Kann es einen gesunden Patriotismus geben“, fragt provokant die Autorin Alice Hasters, „oder dauert es nicht lange, bis wir wieder an einem Punkt sind, in dem das umschlägt?“. Die Doku macht sich diese Sicht nicht zu eigen, aber lässt sie stehen – wie es sich für eine gutgemachte Doku gehört!

 

Der WDR hat mittlerweile auch auf die Kritik an der Umfrage reagiert. „Wir selber sind bestürzt, dass die Ergebnisse sind, wie sie sind, aber sie sind auch Ausdruck der gesellschaftlichen Lage im heutigen Deutschland“, erklärte WDR-Sportchef Karl Valks in einem heute in Köln veröffentlichten Statement. „Unser Reporter Philipp Awounou wurde in Interviews bei den Dreharbeiten zu der Dokumentation „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ mit der Aussage konfrontiert, dass zu wenige „echte“, hellhäutige Deutsche auf dem Fußballplatz stehen. Das wollten wir bewusst nicht anekdotisch wiedergeben, sondern auf fundierte Daten stützen“, so Valks weiter. Daher habe man bei Infratest Dimap die Umfrage in Auftrag gegeben.

 

Ein Verdienst hat die Doku schon jetzt auf jeden Fall: Sie regt zur notwendigen Debatte an. Leuchtet klug die Fälle von Mesut Özil und Ilkay Gündogan aus, die beide wegen Fotos mit dem türkischen Präsidenten Erdogan in der Kritik standen. Und vertraut auf die brückenbauende Kraft der Sportart, die einfach zu Deutschland gehört, wie es gleich zu Beginn heißt. Oder wie es in „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ Nationalspieler Jonathan Tah formuliert: „Wir sind eine Mannschaft, und im Sommer spielen wir ein Turnier, auf dem wir gemeinsam für Deutschland erfolgreich sein wollen. Und ja, wir sind Müller, aber wir sind auch Tah und Gündogan. Und wir verfolgen alle zusammen ein Ziel.“