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Geheim-Projekt: „Spiegel“ baut KI-Nachrichtenpodcast ohne menschlichen Host

Geheim-Projekt: „Spiegel“ baut KI-Nachrichtenpodcast ohne menschlichen Host Ole Reißmann (Foto: Martina Kix)

Ole Reißmann, KI-Verantwortlicher des „Spiegel“, sagt im Interview, welche Projekte der Titel verfolgt und wo er die Grenzen sieht.

Berlin – Wie und wo der „Spiegel“ KI einsetzt, verriet Ole Reißmann, KI-Verantwortlicher des „Spiegel“, im „kress pro“-Interview, mit Markus Trantow mit Ole Reißmann. Welche Projekte der Titel verfolgt:

 

… Beim European Publishing Congress im Juni in Wien haben Sie eine KI-gestützte Anwendung zur Verifikation vorgestellt. Wie weit sind Sie damit?

Ole Reißmann: Die Dokumentation testet die durch KI unterstützte Verifikation gerade. Darin zerlegt die KI zunächst den Test in kleinstmögliche Informationsbestandteile und prüft diese dann nacheinander. Unser Ziel war zunächst, dass die KI einfache Fehler findet, beispielsweise fehlerhafte geografische Zuordnungen. Inzwischen geht aber noch mehr. Wir nutzen dafür das Wissen des Sprachmodells, aber auch Webquellen und zukünftig unser Pressearchiv. Dadurch bekommen die Kolleginnen und Kollegen in der Dokumentation ein Sicherungsnetz gegen Flüchtigkeitsfehler oder schon mal einen Hinweis, wo sie noch einmal genauer hinschauen sollten. Sie werden damit bestenfalls entlastet und haben mehr Zeit für tiefergehende Verifikation und Recherche.

 

Schon ein bisschen paradox, dass eine Technologie, die bekannt dafür ist, zu halluzinieren und zu lügen, von Ihnen eingesetzt wird, um Fehler zu finden …

Wir machen sogar noch etwas anderes Unerwartetes: Die Technologie gilt außerdem als vorurteilsbelastet. Wir wollen hingegen mit KI-Unterstützung wissen, wo unsere eigenen Vorurteile eigentlich liegen. So richtig viel darf ich darüber noch nicht verraten. Im Herbst wird es da womöglich mehr geben. Vielleicht nur so viel: Es geht u. a. darum, wie viele Männer und Frauen in unserer Berichterstattung vorkommen und wie sich das nach Thema unterscheidet.

 

Wie schafft man es, einem Large Language Model wie ChatGPT das Halluzinieren abzugewöhnen? Einfach, indem man gut promptet?

Na ja, „einfach“ haben Sie gesagt. Aber man wird es ihnen wahrscheinlich nicht komplett abgewöhnen können. Denn wenn man diese Maschinen 100-mal mit dem gleichen Input füttert, heißt es nicht, dass 100-mal das gleiche Ergebnis herauskommt. Es gibt einen gewissen Zufallsfaktor, den die aktuellen, großen Modelle noch brauchen. Deswegen ist es so mühsam, diesen Modellen das Halluzinieren abzugewöhnen. Das geht, wenn überhaupt, mit sehr aufwendigen Prompts bzw. Prompt-Ketten. Deswegen darf uns KI helfen, aber nicht unsere Kernaufgaben übernehmen. Alles vor dem eigentlichen Verfassen eines Artikels und alles danach schauen wir uns natürlich an.

 

In welchen Bereichen probieren Sie KI beim „Spiegel“ noch aus?

Wir experimentieren wild in alle möglichen Richtungen. Gemeinsam mit der Firma BosePark haben wir z. B. einen Prototyp entwickelt, einen KI-Nachrichten-Podcast, der von Eilmeldungen getriggert wird. Wenn eine halbe Stunde nach der Eilmeldung die Nachricht ausgebaut ist, schnappt sich die KI den Text und schreibt ihn als Audionachricht um. Dann checkt jemand aus der Redaktion den Text und kann noch Änderungen vornehmen und schließlich produziert die KI einen Podcast, inklusive KI-Stimme, Musik und Ad-Marker. Wir haben auch KI-Übersetzungen in Türkisch, Russisch oder Englisch ausprobiert. Das ist für uns eine Case Study, ein Proof of Concept. Wir wissen jetzt, wie so etwas aktuell funktioniert. Wir wissen, wo die Fehlerquellen liegen. Ob wir daraus ein Produkt machen, schauen wir uns als Nächstes an.

 

Ich kenne schon Podcasts ohne menschliche Hosts. Das sind aber eher Nischenprodukte. Für ein Massenpublikum ist das sicher gewöhnungsbedürftig …

Ja, wir wollen auch niemandem seine geliebten Podcast-Hosts wegnehmen. Ganz im Gegenteil. Ein Eilmeldungspodcast auf Englisch wäre ein neues Angebot, das vor KI wirtschaftlich oder organisatorisch vielleicht nicht darstellbar gewesen wäre. Deswegen kann ich mir schon vorstellen, dass das Publikum es akzeptiert, dass dieses Format nicht von einem Menschen, sondern von einer Computerstimme gesprochen wird.

 

  • Welche KI-Projekte der Spiegel noch verfolgt
  • Wo KI in der Redaktion konkret eingesetzt wird
  • Was Ole Reißmann Redaktionen empfiehlt, die beim Thema KI noch am Anfang stehen

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