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Gorbatschows Zeitung: Kremlkritische "Nowaja Gaseta" begeht Jubiläum

Für knallharte Recherchen ohne Angst vor den Mächtigen in Russland steht die kremlkritische Zeitung "Nowaja Gaseta". Jetzt wird das auch vom Reformer Gorbatschow herausgegebene Blatt 20 Jahre alt. Neben Stolz gibt es auch Trauer um ermordete Kollegen wie Politkowskaja.

Moskau (dpa) - Ihren Kampf um die Wahrheit haben viele Reporter der auch in Deutschland erscheinenden kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta" (Neue Zeitung) mit dem Leben bezahlt. Mutige Journalistinnen wie Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa etwa wurden ermordet. Sie enthüllten Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tschetschenien und anderen Regionen des Konfliktgebiets Nordkaukasus. Doch für das Blatt, das am 1. April 1993 erstmals erschien, soll zu seinem 20-Jährigen an diesem Montag der Stolz überwiegen.

Gegenwind bekommt die Redaktion unter Leitung von Dmitri Muratow auch zu ihrem Jubiläum. Die "Nowaja Gaseta" versuche, eine Revolution anzuzetteln in Russland, hetzt Wladimir Schirinowski, Chef der ultranationalistischen Liberaldemokratischen Partei im Parlament. Verbreitet ist in Russland die Meinung, dass diejenigen, die ständig über Missstände wie Korruption, Justizwillkür und Gewalt bei Polizei und im Strafvollzug berichten, Feinde des Landes sein müssten.

Zwar räumen sogar treue Leser der Zeitung ein, dass die Vielzahl der berichteten Ungerechtigkeiten aus dem russischen Alltag mitunter kaum noch zu ertragen sei. Aber Mitherausgeber Michail Gorbatschow (82), einst sowjetischer Staatschef, machte stets deutlich, es gehe hier um demokratische Grundwerte der Meinungs- und Pressefreiheit und die Sicherung der Menschenrechte. Regelmäßig erinnert die "Nowaja" auch an die kommunistischen Gewaltverbrechen in der Sowjetunion.

Die "Nowaja Gaseta", deren Haupteigentümer die Journalisten sind, gilt als eine der letzten Bastionen der Meinungsfreiheit in Russland, als Stachel im Fleisch der Mächtigen. Das in verschiedenen Regionen Russlands gedruckte Blatt erscheint montags, mittwochs und freitags in einer Auflage von 274 000 Exemplaren. Die Zeitung veröffentlicht im Internet einzelne Beiträge auch auf Englisch.

Hinter dem Blatt steht auch der regierungskritische Oligarch und einstige KGB-Agent Alexander Lebedew. Während die "Nowaja" für ihre kritische Distanz zur Macht im Ausland mit Preisen überhäuft wird, werden die Enthüllungsgeschichten vom Machtapparat und den Staatsmedien ignoriert.

Diese Haltung gab Kremlchef Wladimir Putin vor. Offene Kritik in Russland ist auch mehr als 20 Jahre nach dem Ende der Kommunismus heikel. Kremlkritische Medien beklagen immer wieder, dass auf ihre Journalisten Druck ausgeübt werde. Vor allem staatliche Medien würden beherrscht von den Kontrolleuren des Kreml.

Wohl auch deshalb nahm es die Moskauer Medienwelt als Sensation auf, als Putins politischer Ziehsohn Dmitri Medwedew nach seiner Wahl zum Präsidenten 2008 sein erstes Interview ausgerechnet der "Nowaja" gab. Seit Putins Rückkehr in den Kreml setzt sich die Zeitung ganz im Stil der Opposition auch mit Unterschriftenaktionen für Neuwahlen des Parlaments ein sowie für die Freilassung politischer Gefangener.

Die Redakteure seien wagemutig, sagte Chefredakteur Muratow in seiner Dankesrede für die "Karlsmedaille" in Aachen im vergangenen Jahr. Die Frage, ob sie Angst hätten, werde er nicht beantworten: "Wir beschäftigen uns mit Fakten und nicht mit Emotionen", sagte der Preisträger. Der Preis sei ein Gedenken an die zu Tode gekommenen Kollegen, sagte er damals.

Für das Jubiläum in Moskau ist eine bescheidene Feier mit bis zu 500 Gästen geplant, wie eine Sprecherin des Blattes mitteilte. In ihrer Serie "Die besten Publikationen aus 20 Jahren" brachte die Zeitung am Freitag eine Story von 1993, als Muratow und andere Reporter zeigten, wie leicht es im damaligen Chaos war, nach dem Zerfall der Sowjetunion in den Besitz einer Atombombe zu kommen.