Vermischtes
KNA – Wilfried Urbe

Günter Wallraff kämpft gegen „Trump-Musk-Würge-Schlange“

Günter Wallraff kämpft gegen „Trump-Musk-Würge-Schlange“ Günter Wallraff

Der Journalismus steht unter Druck. Die US-Regierung greift das Prinzip unabhängiger Medien an. Doch wir sind nicht wehrlos, sagt der Investigativjournalist.

Köln (KNA) – Das Modell Journalismus steht unter Druck. Klassische Funktionen der Massenmedien werden von Sozialen Netzwerken übernommen, die Verbreitung von Falschinformationen über das Internet ist oftmals nicht mehr einzudämmen, und das Erstarken autoritärer Kräfte überall auf der Welt erschwert zusätzlich eine unabhängige Berichterstattung. Für Günter Wallraff sind das alles Vorboten einer Dystopie à la „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley, die schon bald Realität werden könnte – gegen die man sich aber, wie Wallraff dem KNA-Mediendienst sagt, gemeinsam wehren kann.

 

Herr Wallraff, was beunruhigt Sie zurzeit am meisten?

Günter Wallraff: Wo soll ich da anfangen! Fast alltäglich überrollen uns aus den USA neue Ungeheuerlichkeiten. Vor diesem Hintergrund erleben wir in den USA ein Zusammengehen der größten Tech-Konzerne, die zugleich einen Großteil der Kommunikation in der westlichen Welt kontrollieren und steuern. Diese Konzern-Herrscher wie Elon Musk, Mark Zuckerberg, Jeff Bezos – übrigens die drei reichsten Menschen der Welt – hatten früher ganz unterschiedliche gesellschaftspolitische Positionen, standen in einem Wettbewerb zueinander. Jetzt stehen sie Gewehr bei Fuß „MAGA“ zu Diensten und unterwerfen sich Trump liebedienernd. Dazu kommen Allmachtsphantasien und ein Personenkult um Trump und Musk, der an Cäsaren-Größenwahn des alten Roms erinnert.

 

Reicht das allein schon aus, um eine Demokratie auszuhebeln?

Neben den Eingriffen, denen ehemals unabhängige Medien in den USA durch ihre Eigentümer unterworfen sind – etwa durch Jeff Bezos, der die „Washington Post“ gekauft hat – erleben wir eine Art von freiwilliger Selbstzensur, die immer schneller um sich greift – ein Domino-Effekt. Themen wie Diversity oder Inklusion werden aus der Agenda entfernt, wie zum Beispiel beim Disney-Konzern. Das betrifft nicht allein interne Unternehmensleitlinien, sondern beispielsweise auch Ächtung und Verbannung von Minderheiten – wie Menschen bestimmter Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung – aus Unterhaltungs- oder Informationsformaten.

 

Parallel dazu werden „Informationen“ in die Sozialen Medien geflutet, die genau diese, sagen wir mal, demokratiekritischen Akteure besitzen …

… und das unter dem Deckmantel der Meinungs- und Informationsfreiheit. Der Begriff „Desinformation“ ist noch eine Verharmlosung. Es ist eine Art von Kriegsführung in den Köpfen, Manipulation, die systematisch und auf zwischenstaatlicher Ebene wie ein demokratiezersetzender Dauerangriff betrieben wird. Demokratische Staaten dürfen hier nicht kapitulieren, sie müssen geschlossen dagegenhalten.

 

Unsere Gesellschaft erscheint dennoch mehr oder weniger resistent gegenüber diesen Entwicklungen, die sich anderswo auf der Welt abspielen …

Ist das nicht ein frommer Wunsch? Zum Glück gibt’s in Deutschland immer noch Wettstreit und Vielfalt der Medien. Aber in anderen europäischen Staaten, in denen die politische Konstellation anders aussieht, bröckelt es bereits gewaltig – wie in Italien oder ganz extrem in Ungarn.

 

Glauben Sie denn, dass das Konzept des Journalismus, so wie es im 19. Jahrhundert mal entstanden ist, aktuell überhaupt noch ausreicht?

Wir müssen dafür kämpfen. Meinungsfreiheit und Vielfalt der Presse sind Grundsäulen der Demokratie, aber Journalisten sind auch Lohnabhängige. Kollegen, die ich sehr schätze, fürchten wegen Einsparungen und Auflagenrückgang um ihren Arbeitsplatz. Was passiert, wenn auch hier der politische Druck extremer Kräfte zunimmt und am Ende beherrschend wird?

 

Die Glaubwürdigkeit der etablierten Medien ist ja bereits jetzt stark gesunken …

Das hat aber auch damit zu tun, dass wir mehr und mehr in einer Klassengesellschaft, fast Kastengesellschaft, leben – was sich auch in der Politik ausdrückt. Bei unseren Berufspolitikern im Bundestag gibt es so gut wie keinen mehr aus einer Arbeiterfamilie. Im Journalismus spiegelt sich diese Situation. Das muss nicht direkt negative Auswirkungen haben. Aber wie sollen Menschen eine Lebensrealität begreifen und authentisch darüber berichten, wenn sie ihnen fremd ist?

 

Ist der Begriff Klassengesellschaft heute nicht etwas veraltet?

Wohl kaum. Allein die fünf Reichsten in Deutschland verfügen über mehr Vermögen als die gesamte zunehmend verarmende Hälfte unserer Bevölkerung. Diese Super-Super-Reichen häufen ihren immensen Reichtum über Familiengenerationen immer weiter an. Das verschärft die Spaltung der Gesellschaft.

 

Aber welche Möglichkeiten sehen Sie aktuell, den Fehlentwicklungen entgegenzuwirken?

Täglich kommen Einschüchterungen aus dem neuen Reich des Despotismus – ernstzunehmende Politikwissenschaftler sprechen bereits von Faschismus – und wir sitzen in Schockstarre wie Kaninchen vor der zweiköpfigen Trump-Musk-Würge-Schlange und ducken uns weg. Wieso überzieht Trump die gesamte demokratisch-westliche Welt mit Zöllen, während er Putins Russland verschont? Auffällig und naheliegend: Der britische Geheimdienst schrieb bereits vor Jahren ein Dossier, nach dem Russland im Besitz von „kompromittierendem Material“ über „persönliche Obsessionen“ und „finanzielle Informationen“ Trumps sei, um „ihn zu erpressen“. Die Rede war unter anderem von einem Sexvideo mit Prostituierten in einem Moskauer Hotel. Gegen diese neue „Achse des Bösen“ haben wir viel zu verteidigen: die Aufklärung und den Erhalt demokratischer Strukturen, deren Wiege in Europa liegt. Alle, die sich in Deutschland, in Europa humanen demokratischen Werten und der Aufklärung verpflichtet fühlen, sind jetzt gefordert, parteiübergreifend zusammenzustehen.

 

Ist das nicht etwas zu idealistisch gedacht?

Mag sein, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Es sind oft kleine Anstöße, die das große Ganze beeinflussen können. So wie zum Beispiel die Metapher aus der Chaostheorie vom Flügelschlag eines Schmetterlings, der tausende Kilometer entfernt einen Orkan auslösen kann. Ein aktuelles Beispiel: Die Marke Tesla, einst mit verheißungsvollem Image gestartet, dann kenntlich gemacht durch „Hire & Fire“, unmenschliche Arbeitsbedingungen, Ignoranz und Verachtung von Arbeitnehmerrechten, wird nun für den Kurs von Musk abgestraft. Folge: ein Kurssturz, um 40 Prozent einbrechende Verkaufszahlen. Viele steigen heutzutage nur noch beschämt in ihre Prestige-Luxus-Karossen.

 

Und die Konsequenz, Ihr Resümee?

Es ist fast zum Verzweifeln. Ich bin seit jeher Berufsskeptiker, aber aus Prinzip Zweckoptimist. Es ist kurz vor Zwölf, aber es ist nie zu spät. Frei nach Brecht: Wer lebt, sage nicht niemals!