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"Homo-Journalismus fehlt oft der Mut"

Adalbert Siniawski über Lesben und Schwule in Deutschlands Medien.

Berlin (dpa) - Muss es einen extra Journalismus für Lesben und Schwule geben? Und wenn ja: was macht ihn aus? Wie ist seine Situation in Deutschland? Zurzeit ist die Saison der zahlreichen Christopher-Street-Day-Paraden, in der auch Mainstream-Medien über Homosexuellen-Anliegen berichten. Doch wie steht es eigentlich um die Medien, die speziell auf Nicht-Heterosexuelle ausgerichtet sind? Adalbert Siniawski (29) ist Journalist und arbeitet fürs Deutschlandradio. 2005 war er Co-Autor des "Trendbuchs Journalismus", 2009 erschien von ihm eine Art Standardwerk zum Thema lesbisch- schwuler Journalismus in Deutschland. Ein Experten-Interview:

Herr Siniawski, was soll das überhaupt sein, schwul-lesbischer Journalismus?

Siniawski: "Klar, Journalismus kann nicht schwul oder lesbisch sein. Damit ist verkürzt die Berichterstattung von Medien gemeint, die sich an Schwule, Lesben und korrekterweise auch Bisexuelle und Transgender richten, die der homosexuellen Community nahestehen. Der schwul- lesbische Journalismus ist ein eigenständiges Rädchen im gesamten Medien-Apparat. Er findet hauptsächlich in Publikumszeitschriften statt. Im Internet, im Radio und im Fernsehen gibt es kaum Angebote dieser Art, die von ausgebildeten Journalisten erstellt werden. Zur schwul-lesbischen Presse gehören zum einen Stadtillustrierte, die kostenlos in Szene-Lokalen ausliegen, und daneben überregionale Lifestyle-Magazine, meist für Schwule, die man in gut sortierten Kiosken erhält. Für Lesben existiert mit "L-Mag" nur ein einziges überregionales Magazin. Mit etwa 14 Prozent ist die Frauenquote in dem Journalismusbereich auch ziemlich klein."

In angelsächsischen Ländern oder in Frankreich - wo es seit 15 Jahren das Hochglanzmagazin "Tetu" gibt, das der Unternehmer und Witwer des Modeschöpfers Yves Saint Laurent, Pierre Bergé, herausgibt - existieren etablierte Kaufmagazine. In Deutschland dominieren Gratis- Blätter. Wie kommt das?

Siniawski: "Der schwul-lesbische Medienmarkt ist ständig in Bewegung. In Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren wieder einiges getan, unter anderem durch den Wegfall der aufwendig beworbenen Zeitschrift "Front" oder dem Zugang neuer Titel wie der an HIV- Positive gerichteten "M+". Aber Stadtzeitschriften haben zweifellos immer noch eine wichtige Position. Einige dieser Hefte sind schon seit Jahrzehnten auf dem Markt. Sie sind kostenlos und liefern lokale Berichte und Veranstaltungstipps von dort, wo das schwul-lesbische Leben pulsiert: aus Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Köln. Überregionale Magazine wie "Du& Ich", "L-Mag" oder "Männer" haben es schwer. Der Wettbewerb in diesem Nischenmarkt ist hart. In der Vergangenheit wurde vieles mit viel Tamtam auf den Markt geworfen wie "G.Mag" oder eben "Front" ­ allein, es fehlten die Käufer. Meiner Meinung nach lag das daran, dass der Mut fehlte, ein tiefgründiges Magazin herauszubringen, eine Art schwul-lesbischen "Spiegel" wie es beispielsweise in den USA das Magazin "The Advocat" ist."

Warum scheitern ambitioniertere Projekte wie schwules Fernsehen?

Siniawski: "Ein eigenes schwul-lesbisches TV-Angebot oder auch Radioprogramm zu produzieren, ist teuer und komplex. Das musste auch der Sender Timm erfahren und meldete Anfang des Jahres Insolvenz an. Ich glaube auch hier, dass der Inhalt das entscheidende Manko ist. Timm hat wenig Mittel für Eigenproduktionen. Stattdessen sendet man Serien, die es entweder im deutschen Fernsehen schon gab, wie "Golden Girls", oder die viele schon auf DVD im Regal stehen haben, wie die Homo-Serie "Queer as Folk". Das journalistische Profil ist ziemlich dünn. Informationen und Hintergründe sehe ich kaum. Stattdessen dominiert jedoch oft das Bild vom konsumfreudigen Lifestyle- Schwulen."

Wie viele Leute arbeiten denn im sogenannten Homo-Journalismus?

Siniawski: "Es gibt in Deutschland nur 15 Publikumszeitschriften mit journalistischem Profil; wenn man die redaktionellen Einheiten betrachtet, also Publikationen mit eigener Chefredaktion. Die Berichterstattung wird von wenigen, rund 100 hauptberuflichen Journalisten gestemmt. Dementsprechend arbeiten die Redaktionen in Minimalbesetzung. Alles konzentriert sich auf die Chefredakteure. Sie schreiben mehr als ihre Kollegen im Mainstream-Journalismus und haben großen Einfluss auf die Texte ihrer Mitarbeiter. Daraus ergeben sich Gefahren für die Berichterstattung: Dieses Gebilde aus 15 Chefredaktionen hat Einfluss darauf, wie schwule und lesbische Leser vieles wahrnehmen. Besorgniserregend könnte sein, dass einige Redaktionsleiter auch unternehmerische Aufgaben im Verlag übernehmen, beispielsweise als Geschäftsführer. Es besteht die Gefahr von Interessenkonflikten, wenn zum Beispiel ein Chefredakteur den Anzeigenkunden ein gefälliges redaktionelles Werbeumfeld bietet."

Wofür braucht man diesen Nischenjournalismus noch oder wieder?

Siniawski: "Schwul-lesbischen Journalismus wird es immer geben. Denn nur zielgruppenspezifische Medien können Schwule und Lesben kontinuierlich mit den Themen und Informationen versorgen, die sie betreffen. Mainstream-Medien werden das aufgrund der immer noch vorhandenen Vorbehalte gegenüber Homosexuellen nie schaffen. Sie werden und können, weil sie Massenmedien sind, dieser gesellschaftlichen Gruppe nie ausreichend Aufmerksamkeit schenken. Der schwul-lesbische Journalismus wird somit weiterhin gebraucht, um zu informieren und zu unterhalten, Orientierung zu verschaffen, die Gesellschaft zu kontrollieren, Missstände aufzudecken und ­ auf den Punkt gebracht ­ ein Sprachrohr zu sein. Die Frage ist nur, welche Inhalte er transportiert. Ob er mehr unterhaltungs- und lifestyle- orientiert ist, wie heutzutage, oder ob er wieder politischer wird, wie er es vor der gesellschaftlichen Liberalisierung der letzten 20 Jahre war."