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Jan Fleischhauer: Die Kuhstallwärme der Gesinnungsgemeinschaft geht mir auf die Nerven

Jan Fleischhauer: Die Kuhstallwärme der Gesinnungsgemeinschaft geht mir auf die Nerven Jan Fleischhauer

Journalismus in Corona-Zeiten. Was der Publizist und Autor vom „Nazi-Zählen“ seiner Kollegen hält und warum Dunja Hayali für ihn ein Vorbild ist.

Frankfurt – Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen wachsen, die Kritik an der Berichterstattung auch. „Wie sehen das Medienmacher selbst – und was tun sie selbst?“, fragte das aktuelle „medium magazin“ Innenpolitikjournalistinnen und -journalisten und den Publizisten und Autor Jan Fleischhauer.

 

Wie beurteilen Sie die Berichterstattung über Verschwörungsmythen und die Demonstrationen gegen die Corona- Maßnahmen: Wird zu viel, zu wenig oder falsch gewichtet darüber berichtet?

Jan Fleischhauer: Eine komische Frage! Sollten wir etwa nicht über das berichten, was sich tut? Ich hatte allerdings den Eindruck, dass viele Kollegen so sehr mit dem Nazi-Zählen beschäftigt waren, dass sie beinahe das Neue dieser Demonstrationen verpasst hätten: die eigentümliche Vielfalt der Protestbewegung, bei der grünes Stammpublikum plötzlich neben dem Reichsbürger steht. Stattdessen wurde über den „Sturm auf den Reichstag“ geschrieben. Nicht genug damit, dass so etwas die Diktion der Rechtsradikalen ist und deren Machtphantasien bedient. Das Ereignis war doch bestenfalls ein Stürmchen – mit Selfies statt Molotowcocktails. Was wollen wir eigentlich sagen, wenn es wirklich mal ernst wird? Ich vermisse in vielen Berichten und Kommentaren die Originalität, einen neuen Gedanken, den andere nicht schon längst geäußert haben. Und echte Neugier wo doch Neugier eigentlich die zentrale Tugend des Journalisten sein sollte. In der Hinsicht halte ich das, was Dunja Hayali macht, für vorbildlich: Hingehen, sich umschauen, versuchen zu ergründen, was Leute umtreibt, sie bewegt. Vor dem Urteil sollte die Beobachtung stehen, denke ich. Leider funktioniert es oft andersherum: Erst das Urteil und dann die Bestätigung des Urteils durch das, was man sieht. Ich bin unbedingt dafür, Journalismus und Aktivismus auseinanderzuhalten.

 

Welche Aspekte vermissen Sie?

Eine Frage, die sich Journalisten regelmäßig stellen, lautet: Was kann man tun, um die AfD kleinzuhalten? Ich lehne schon die Fragestellung ab. Es ist die Aufgabe der politischen Konkurrenz, die AfD kleinzuhalten, aber doch nicht von uns Journalisten. Unsere Aufgabe ist es, gesellschaftliche Umbrüche zu sehen; wenn wir gut sind, früher als andere Trends zu erkennen, Stimmungen und Stimmungsumschwünge, die dann möglicherweise in Politik münden. Und genauer auf den Unterschied zwischen kalkulierter Provokation und echter Gewalt sehen. 

 

Welche journalistischen Maßnahmen zur Vertrauensbildung empfehlen Sie, welche praktizieren Sie?

Es heißt immer, die Spaltung der Gesellschaft nehme zu. Ich bin absolut für Spaltung. Ich halte Spaltung in einer Demokratie für das Normalste der Welt. Mir geht nichts so sehr auf die Nerven wie die Kuhstallwärme der Gesinnungsgemeinschaft. Wo es zu harmonisch wird, nehme ich Reißaus.

 

Die Antworten von Jan Fleischhauer und die gesamte Umfrage lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des „medium magazins“. 

 

Zudem berichtet das „medium magazin“ über folgende Themen:

  • Die „Hidden Stars 2020", Die heimliche Heldinnen und Helden im Journalismus: Wer hinter den Kulissen in Deutschlands Redaktionen tolle Arbeit leistet.
  • „Kolumnist wird man nicht, wie man Bäcker wird“ Was „Streiflicht“-Autor Axel Hacke dem Nachwuchs rät.
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  • „Ich will Begeisterung für journalistische Angebote spüren“ Was Vanessa Wormer als Chefin des neuen Innovationslab im Südwestrundfunk plant.
  • Warum die Pandemie den Redaktionen Mut machen sollte. Drei Erkenntnisse aus der Lesewert-Forschung und dazu die Empfehlungen für die Praxis.
  • Noch immer zu wenig Ostdeutsche in den Redaktionen. Was ZDF-Chefredakteur Peter Frey dagegen unternimmt und warum er Björn Höcke nicht als Gast in Talkshows haben will.
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  • US-Wahlberichterstattung: Bloß kein neues Debakel. Was in den USA anders als 2016 laufen wird und wir in Europa darüber wissen müssen.
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