Vermischtes
KNA – Christiane Laudage

Lutz Hachmeister letztes Buch über Hitler-Interviews: „Der Diktator und die Journalisten“

Einen Diktator oder Autokraten zu interviewen, der die Welt sowohl fasziniert wie auch in Schrecken hält – sollte das der Traum eines jeden Journalisten sein? Hachmeister nimmt in seinem Buch dazu Stellung.

Köln (KNA) – „Jedem ausländischen Korrespondenten, der in jenen Jahren in Deutschland war, wurde als berufliches Hauptziel ein Treffen mit Adolf Hitler aufgetragen. Hitler galt als der interessante Mensch in Deutschland“, sagte der italienische Journalist Filippo Bojano rückblickend in seinem 1944 erschienen Buch „Im Sog des Stechschritts“. Er hatte seins 1932 bekommen.

 

Der im August verstorbene Medienexperte Lutz Hachmeister hat in „Hitlers Interviews. Der Diktator und die Journalisten“ die Begegnungen des NSDAP-Führers mit der Auslandspresse analysiert. Hachmeister konnte das Buch vor seinem Tod noch fertig stellen, es ist jetzt posthum erschienen.

 

„Hitlers Interviews“ will zeigen, wie der Diktator sich gegenüber ausländischen Medien positioniert hat. Damit verbindet Hachmeister die grundsätzliche Frage: Soll oder darf man einen Diktator oder Autokraten interviewen? Wenn ja, wie schafft man es, nicht vorgeführt zu werden? Spoiler: Es ist nicht einfach.

 

Prinzipiell stellt Hachmeister fest: Hitler mochte keine Journalisten. Zum einen, weil er sich nicht gerne unterbrechen ließ und zum anderen, weil ihm der „rassische“ Hintergrund von Journalisten aus anderen, besonders aus demokratischen Ländern nicht bekannt war. Außerdem, so konstatiert Hachmeister, war er nicht in der Lage, ein wirkliches Gespräch mit Reportern zu führen, sondern erging sich in langatmigen Monologen. Aber da Hitler den propagandistischen Nachrichtenwert von Interviews mit Vertretern von Auslandsmedien erkannte, habe er sich darauf eingelassen.

 

Kaum Inlandsinterviews, aber rund 100 Auslandsinterviews

Hitler hat nach Erkenntnis von Hachmeister im Verlauf seiner politischen Karriere der ausländischen Presse mehr als 100 Interviews gegeben. Inlandsinterviews habe er hingegen kaum gefunden. Er erklärt das damit, dass die demokratischen Qualitätsblätter zunächst kein Interesse an dem „völkischen Provinzpolitiker“ hatten. Umgekehrt wollte Hitler sich mit Journalisten von „Judenblättern“, wie er sagte, nicht zum Gespräch treffen. Nach 1933 waren die Inlandszeitungen für ihn nicht mehr relevant, da die NSDAP mit ihrem Zentralorgan „Völkischer Beobachter“ ohnehin die Richtung der schon bald gleichgeschalteten Presse im Deutschen Reich dominierte.

 

Die auffindbaren Interviews fanden im Zeitraum von 1922 bis 1944 statt. Das erste führte Hitler, damals tatsächlich noch ein Provinzpolitiker in München, mit dem US-Journalisten Karl von Wiegand, der für den Hearst-Pressekonzern arbeitete. Das letzte Interview datiert auf März 1944. Der schwedische Korrespondent von „Stockholms Tidningen“, Christer Jäderlund, interviewte Hitler telefonisch. Verbreitet wurde das Interview über das Deutsche Nachrichtenbüro, die offizielle Presseagentur des NS-Regimes. Es ging um Finnland und Friedensverhandlungen.

 

Die Interviews lassen nach Hachmeisters Einschätzung ein deutlich strategisches Interesse erkennen. Rund 60 Gespräche habe Hitler mit angloamerikanischen Journalisten, 17 mit italienischen und acht mit französischen Journalisten geführt. Der Austausch mit italienischen Journalisten habe dabei für Hitler bis 1933 strategische Relevanz – Mussolini war bereits sei zehn Jahren an der Macht und hatte den Faschismus als Staatsform etabliert. Hitler sah sich mit ihm lange in einer Art Wettbewerb. Interviews mit Medien aus Japan, Spanien oder Portugal fielen nach Meinung von Hachmeister dagegen auch in den Anfangsjahren des „Dritten Reichs“ kaum ins Gewicht.

 

Geld für Interviews

Der Medienexperte unterteilt die Interviews in drei Phasen: eine Frühphase, in der Hitler als „bayerischer Mussolini“ bekannt wurde, bis zu seiner Festnahme nach dem Putsch in München 1923 und der anschließenden Haft in Landsberg. Die zweite Phase von 1930 bis 1933, umfasst den Aufstieg der NS-Bewegung bis zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933. Danach folgt die eigentliche diktatorische Phase als Staatschef und Kriegstreiber.

 

Der Diktator ließ sich in der Anfangszeit für Interviews bezahlen, um die notorisch klamme Kasse der NSDAP aufzubessern. Ab 1930 sei es Hitler gelungen, zusammen mit seinen Mitarbeitern die Kontrolle über die Interviews zu behalten. Fortan mussten die Journalisten Fragen vorher einreichen und die Interviews autorisieren lassen. Hitler behielt in der Regel die Oberhand, fühlte sich aber bei Treffen für Interviews unbehaglich, so Hachmeister.

 

Immer die gleiche Überredungskommunikation

Der Autor stellt die These auf, „dass sich Hitlers Bierhallenreden, Volksansprachen, diplomatische Verhandlungen, ‚Tischgespräche‘ oder die intimeren Interviewsituationen im Grundsatz nicht unterscheiden.“ Es seien nur „situative Varianten“ der immer gleichen sterilen Überredungskommunikation.

 

Er zitiert den US-Journalisten Karl von Wiegand (1874-1961), der im August 1932 erst zusammen mit anderen Journalisten, dann allein mit Hitler zu einem Gespräch zusammentraf. Wiegand meinte anschließend: „Dieser Mann ist ein hoffnungsloser Fall. Es wird jedes Mal schlimmer, wenn ich ihn sehe. Ich habe nichts aus ihm herausbekommen. Wenn du ihm eine Frage stellst, hält er eine Rede. Dieser ganze Besuch bei ihm war eine Zeitverschwendung.“

 

Hitler bevorzugte als Interviewer Korrespondenten mit deutschen Vorfahren oder zumindest deutsch klingenden Namen, darunter waren auch verschiedene US-Journalisten wie von Wiegand, Louis P. Lochner, bis 1942 Leiter des Berliner Büros von Associated Press, oder Pierre J. Huss, Leiter des Berliner Büros des International News Service. Lochner und von Wiegand bestritten nach Angaben von Hachmeister allein rund ein Drittel der amerikanischen Hitler-Gespräche.


Fast alle US-Interviews waren, so seine Einschätzung, für Hitler gut ausgegangen, weil er sich ausgiebig zu seinem Kernprogramm äußern konnte.


Das Gespräch, das für den Interviewer nicht gut ausging, führte Karl von Wiegand Anfang Juni 1940 mit Hitler im Chateau de Lausprelle bei Charleroi in Belgien, kurz vor dem Fall Frankreichs. „Der von den Nationalsozialisten akzeptierte Hitler-Spezialinterviewer“ wurde, so Hachmeister, unter luxuriösen Bedingungen zum Chateau gebracht. Seine vorher eingereichten Frage zum Westfeldzug sowie dem Verhältnis zwischen Deutschland, Großbritannien und den USA, brachten allerdings nur reine Nazi-Propaganda hervor. Daher wurde es im „Völkischen Beobachter“ und über das Deutsche Nachrichtenbüro noch im letzten deutschen Provinzblatt verbreitet. Hachmeister sagt, von Wiegand habe sich später damit getröstet, Hitler von der Zerstörung Paris‘ abgehalten zu haben.

 

Medienethische Bedenken zu Diktatoren-Interviews

Abschließend widmet sich Lutz Hachmeister der Frage, ob journalistische Interviews mit Diktatoren und Autokraten überhaupt Sinn machen. Er gibt zu bedenken, ob nicht der Propagandagewinn für den Diktator größer sei als alle kurzfristigen Nachrichtenwerte und exklusive, sensationelle Meldungen.

Anhand eines Überblicks über Interviews mit Diktatoren seit dem Zweiten Weltkrieg kommt er zu Schluss, dass diese Interviews sehr schnell schief gehen können. Er empfiehlt eine gute und inhaltlich intensive Vorbereitung, damit man nicht vorgeführt würde.

 

Als positives Beispiel führt Hachmeister das Interview der italienischen Journalistin Oriana Fallaci mit dem iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini aus dem Jahr 1979 auf. Es sei „ein bemerkenswertes Dokument journalistischer Integrität und eines kompetenten und kompromisslosen Journalismus, ein bis heute gültiger großer Moment in der Geschichte“. Das führt er auf Fallacis hartnäckige Unerschrockenheit und ihre ausgezeichnete Vorbereitung zurück.

 

Keine Interviews mit Putin mehr führen

Schlimmer als gescheiterte Interviews mit Diktatoren sind nach Ansicht von Hachmeister Interviews, bei denen sich die Journalisten zum „unkritischen Erfüllungsgehilfen ihrer Gesprächspartner“ machen. Dazu zählte Hachmeister das Gespräch, dass der US-amerikanische Journalist Tucker Carlson im Februar dieses Jahres mit dem russischen Regierungschef Wladimir Putin führte. Es wurde im Nachgang sowohl von Journalisten wie auch Politikern kritisiert, weil Carlson weder kritisch nachfragte noch offensichtliche Unwahrheiten, die Putin äußerte, ansprach.

 

Der Journalist Hachmeister stellt grundsätzlich Interviews mit dem russischen Regierungschef in Frage, „nach all dem, was man über ihn zur Genüge weiß“. Für ihn sei es ein Zeichen des Respekts gegenüber der ermordeten Journalistin Anna Politkovskaja und andere kontinuierlich auf der Todesliste stehenden Regimekritiker, nicht noch einmal um ein Gespräch mit Putin nachzusuchen.