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„Oben ohne“ – Wie läuft es so ganz ohne Chefredaktion bei Krautreporter?

„Oben ohne“ – Wie läuft es so ganz ohne Chefredaktion bei Krautreporter? Isolde Ruhdorfer und Leon Fryszer (Foto: Philipp Sipos)

Seit zwei Jahren funktioniert „Krautreporter“ ohne Chef. Wie sich die Journalistinnen und Journalisten die Verantwortung teilen, Hierarchien neu denken und Konflikte schneller lösen, erklären Isolde Ruhdorfer und Leon Fryszer. Was die beiden anderen Redaktionen raten.

Berlin – Seit 2014 gibt es „Krautreporter“. Rund 20 Personen arbeiten inzwischen dort, zwölf davon sind Redakteurinnen und Redakteure. Bei dem Onlinemagazin mit Fokus auf Hintergrundrecherchen ist alles ein bisschen anders – und das nicht erst, seit die „Krautreporter“ ohne Chefredaktion arbeiten. Denn „Krautreporter“ setzt von Anfang an in ungewöhnlichem Maße auf das Publikum. So startete das Magazin durch eine Crowdfunding-Aktion, zählt auch bei der Recherche gerne mal auf Crowdsourcing und finanziert sich heute noch werbefrei durch Leserabos. Wie das funktioniert, erklären Isolde Ruhdorfer (Auslandspolitik) und Leon Fryszer (Vorstand) im Interview mit Frederik von Castell für das aktuelle „medium magazin“.

 

Seit rund zwei Jahren sind Sie bei „Krautreporter“ quasi „oben ohne“ – im Mai 2023 haben Sie die Chefredaktion abgeschafft. Welchem Schmerz wollten Sie als Vorstand bei „Krautreporter“ damit begegnen, Herr Fryszer?

Leon Fryszer: Wir haben immer wieder Chefredakteure eingestellt – und sie sind nie lange im Job geblieben. So war das auch 2023, als wieder eine Chefredakteurin aufhörte. Das lag aber nie an den Personen, sondern an der Stelle selbst. Die Anforderungen waren riesig, die Aufgaben extrem breit gefächert. Gleichzeitig hatten wir alle Fähigkeiten, die man dafür braucht, schon im Team verteilt. Also haben wir uns gefragt: Brauchen wir überhaupt eine Chefredaktion? Die Antwort war: Nein. Statt weiter erfolglos nach der „perfekten Besetzung“ zu suchen, haben wir beschlossen, die Verantwortung neu zu verteilen. Mit dem Ziel, die journalistische Qualität nicht nur zu erhalten, sondern zu steigern.

 

 

Und wie sieht das die Redaktion? Klappt es auch ohne Chefredaktion, Frau Ruhdorfer?

Isolde Ruhdorfer: Ja. Dadurch, dass die Redaktion selbstverantwortlich arbeitet, fühlen sich alle stärker mit den Inhalten verbunden. Es gibt keine Instanz, die über den Köpfen Entscheidungen trifft. Wir diskutieren gemeinsam und treffen sie am Ende dort, wo sie relevant sind. Alle können Vorschläge einbringen, mitentscheiden und Verantwortung übernehmen.

 

 

Wie sahen die ersten Wochen nach der Umstellung aus? Gab es Unsicherheiten in der Redaktion?

Ruhdorfer: Ich war zu diesem Zeitpunkt noch als Freie für „Krautreporter“ tätig, daher habe ich die Umstellung nicht direkt mitbekommen. Als ich dann fest angefangen habe, gab es noch an manchen Stellen Klärungsbedarf. Ich musste selbst erst lernen, wie das System funktioniert und wie wir darin die Aufgaben verteilen können. Inzwischen können wir Entscheidungen gemeinsam treffen, ohne dabei in endlose Diskussionen abzudriften. Fryszer: Herausfordernd war vor allem, dass es ein komplett neues System war. Die größte Sorge war: Was passiert, wenn es keinen klaren Chef gibt, der im Zweifel das letzte Wort hat? Wir haben das gelöst, indem wir klare Entscheidungsprozesse eingeführt haben.

 

Wie ist es heute? Wer entscheidet?

Ruhdorfer: Wir haben keine Führungspositionen wie Chefredaktion, Textchefin oder Social-Media-Chef mehr. Das heißt aber nicht, dass wir keine Hierarchien mehr haben – es sind nur keine persönlichen, sondern inhaltliche Hierarchien. Jeder hat bestimmte Rollen, für die er oder sie verantwortlich ist. Es gibt zum Beispiel Rollen für die Produktion, für die Newsletter, für die Social-Media-Strategie. Entscheidungen werden dort getroffen, wo sie anfallen.

 

 

Was raten Sie anderen Redaktionen, die darüber nachdenken?

Ruhdorfer: Sie sollten sich bewusst sein, dass unser Modell nicht für jedes Team funktioniert. Es braucht eben viel Eigenverantwortung und Kommunikationsfähigkeit. Für manche kann das selbstorganisierte Arbeiten eine Zusatzbelastung sein. Aber wenn das Team bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, kann es unglaublich befreiend sein.

Fryszer: Und man muss Geduld mitbringen für die Umstellung. Ein solcher Wandel passiert nicht über Nacht. Jede und jeder im Team muss sich daran gewöhnen, man muss immer wieder nachschulen. Aber wenn man die richtigen Strukturen schafft, kann es sich langfristig lohnen.

 

Zum ganzen Interview

 

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