Vermischtes
KNA – Jana Ballweber

„Soziale Netzwerke haben nur geringen Einfluss auf Wahlen“, sagen Experten

Sechs Wochen vor der Bundestagswahl wächst in Deutschland die Sorge über den Einfluss sozialer Medien. Der sei aber geringer als oft angenommen, sagen Fachleute. Ignorieren dürfe man das Netz aber trotzdem nicht.

Bonn/Köln (KNA) – Elon Musk wirbt auf X offen für die AfD, in Rumänien wird eine nationale Wahl annulliert, weil die TikTok-Kampagne eines Kandidaten mutmaßlich aus dem Ausland finanziert wurde, Mark Zuckerberg kassiert vor der Amtsübergabe an den designierten US-Präsidenten Donald Trump die bisherige Moderationspolitik seiner Plattformen Instagram, Facebook und Threads ein. Die Wechselwirkungen zwischen Online-Plattformen und dem Politikbetrieb werden gerade in Wahlkampfzeiten mit großem Misstrauen beobachtet. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl wachsen auch in Deutschland die Sorgen vor den Algorithmen und ihren Betreibern im Ausland, die hierzulande kaum zu kontrollieren sind.

 

Die Wirkung sozialer Medien auf die Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger wird nach Einschätzung der Kommunikationswissenschaftlerin Judith Möller allerdings überschätzt. Bei einem Pressegespräch des Science Media Centers in Köln sagte die Professorin der Universität Hamburg und des Leibniz-Instituts für Medienforschung am Mittwoch: „Der Anteil an der Wahlentscheidung, für den Medien allgemein oder soziale Medien im Speziellen allein verantwortlich sind, ist sehr klein.“

 

Wen man wähle, hänge von vielen verschiedenen Faktoren ab, wie persönlichen Erfahrungen, vom Ort des Aufwachsens, von Gesprächen, die man im sozialen Umfeld vor der Wahl führt. Diese Faktoren beeinflussen Möller zufolge aber auch wieder, welche Medien man nutzt – weswegen der alleinige Einfluss sowohl von klassischen Medien wie auch der sozialen Netzwerken nur schwer konkret zu messen sei. Das liege auch daran, dass die Betreiber der großen Online-Plattformen der Forschung weiterhin nur sehr wenige Daten zur Verfügung stellten. Die EU-Plattformgesetze verpflichten die Betreiber der Online-Dienste zwar künftig dazu. Die vorgezogenen Bundestagswahlen kommen Möller zufolge aber zu früh, weil die Vorgaben noch nicht umgesetzt seien.

 

Vereinfachte Partizipation

Dass dem Wahlkampf auf Online-Plattformen so viel Beachtung geschenkt werde, hat Möller zufolge einen einfachen Grund: „Der Medienwahlkampf ist etwas, das Parteien und Kandidaten beeinflussen können. Wo jemand aufgewachsen oder zur Schule gegangen ist, lässt sich nicht mehr verändern.“ Mit sinkender Parteienbindung und sinkendem Interesse an klassischen Nachrichten sei der Einfluss sozialer Medien in den vergangenen Jahren aber gewachsen. Besonders bei Themen, mit denen man sich nicht gut auskenne, sei der Rückgriff auf Medien und dadurch deren Wirkung größer. Grundlegende Werte und Normen ließen sich so hingegen weniger beeinflussen, so die Kommunikationswissenschaftlerin.

 

Im Gegensatz zu klassischen Medien machen es soziale Netzwerke dabei für die politischen Akteure als auch ihre Anhängerschaft leichter möglich, sich zu vernetzen: „Die Partizipation an einer politischen Kampagne ist sehr einfach, Menschen können – gerade auch mit Bild- und Video-KI – sehr leicht eigene Inhalte erstellen“, sagt Möller. So überzeuge man die Menschen vielleicht nicht von etwas völlig Neuem, festige aber bereits vorhandene Überzeugungen, sagt Möller.

 

Toxische Atmosphäre

Mit Blick auf die Entscheidung der Plattformen Facebook, Instagram und Threads, in den USA künftig weniger zu moderieren und weniger Faktenchecks zur Verfügung zu stellen, warnt die Wissenschaftlerin: „Wenn in einem digitalen Raum eine toxische Kultur herrscht, ziehen sich bestimmte Gruppen eher zurück als andere.“ Die Partizipation verschiebe sich zu den Gruppen, die mit einer toxischen Atmosphäre besser umgehen können, die Diversität sinke.

 

Bei Meta sollen in den USA nun sogenannte Community Notes die bisherigen externen Faktenchecks ersetzen. Dabei entscheiden die Nutzerinnen und Nutzer selbst, welche Posts mit welchen zusätzlichen Informationen versehen werden. Außerdem soll die Moderation von Inhalten zurückgefahren werden, insbesondere bei den Themen Einwanderung und Geschlechtsidentität.

 

Der Schritt wird von Kritikerinnen und Kritikern als Anbiederung an den künftigen Präsidenten Trump und seine Partei interpretiert, die schon lange Kritik an Meta und den Plattformen des Konzerns geäußert haben. Die Republikaner hatten Zuckerberg im Wahlkampf vorgeworfen, konservative Stimmen zu zensieren. Trump selbst war nach der Erstürmung des Kapitols durch seine Anhänger am 6. Januar 2021 vorübergehend auf Facebook und Instagram gesperrt worden, um Zuckerberg zufolge die „friedliche Übergabe der Macht“ an Trumps Nachfolger Joe Biden nicht zu gefährden.

 

Soziale Medien „nicht dramatisieren“

Dass soziale Netzwerke überhaupt so viel Beachtung finden, liegt vor allem auch an der Medienberichterstattung über die Debatten, die dort stattfinden. Die Plattform X und auch deren Vorläufer Twitter hatte nie Nutzerzahlen, die mit Facebook, Instagram oder heute auch TikTok, mithalten konnten. Weil aber verhältnismäßig viele Medienschaffende und Politikerinnen und Politiker dort aktiv waren, erhielt die Plattform schon immer viel Aufmerksamkeit.

 

Journalistinnen und Journalisten mahnt der Medienwissenschaftler Philipp Müller im Expertengespräch zur Vorsicht bei der Berichterstattung über Wahlkampf in sozialen Medien: „Es wäre gut, nicht über jedes tagesaktuelle Stöckchen zu springen. Wichtiger wäre es, größere Fragen im Kontext von Social Media und Wahlen zu stellen, beispielsweise, welche Strukturen hinter den Plattformen stehen und welchen Interessen sie dienen.“ Es sei wichtig, die Rolle von sozialen Medien nicht zu dramatisieren: „Wenn man nur über die angeblich demokratiezersetzende Wirkung von Social Media spricht, verstärkt das die Demokratieverdrossenheit und hat vielleicht für die Demokratie eine schädlichere Wirkung als die Social-Media-Diskurse selbst“, so Müller weiter.

 

Ignorieren sollte man den Wahlkampf im Netz aber trotzdem nicht, so Judith Möller: „Die Effekte sind klein, aber Wahlen können sich auch an ein paar Prozentpunkten entscheiden.“ Außerdem sei der Nachrichtenwert der Äußerungen oft hoch. Dem Politikwissenschaftler Andreas Jungherr zufolge wirken sich die Diskurse in sozialen Medien auch auf die Meinungsbildung von Politikerinnen und Politikern und auf die Arbeit der Agenturen aus, die für die politische Kommunikation im Wahlkampf zuständig sind: „Soziale Medien sind ein zugänglicher Weg, um öffentliche Meinungen abzubilden. Sie machen Streit und Bruchlinien sichtbar, auch wenn sie die Bruchlinien vielleicht nicht ganz korrekt abbilden.“