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KNA

Streik bei „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“

Seit fast zwei Jahren kämpfen Gewerkschaften und Belegschaft der Redaktionsgemeinschaft aus „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ um einen Tarifvertrag für alle – bislang vergeblich. Nun gab es einen ersten Warnstreik.

Stuttgart (KNA) – Die Gewerkschaften Verdi und DJV haben die Belegschaft der Redaktionsgemeinschaft aus „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ in der vergangenen Woche zu einem eintägigen Warnstreik aufgerufen. Hintergrund des Streiks ist die Weigerung des Verlags, sich auf Tarifverhandlungen mit den Beschäftigten einzulassen. Seit fast zwei Jahren kämpfen Gewerkschaften und Belegschaft dafür, dass auch neu eingestellte Kollegen nach Tarif bezahlt werden – denn die Unterschiede beim Gehalt sind laut Gewerkschaft teils enorm.

 

Die Geschäftsführung der Medienholding Süd, zu der die Blätter gehören und die wiederum Teil der Südwestdeutschen Medienholding (u.a. „Süddeutsche Zeitung“) ist, habe auf Bemühungen um Gespräche entweder gar nicht reagiert. Oder vorgerechnet, dass man Personal einsparen müsste, um nach Tarif zu bezahlen, heißt es aus der Redaktion. Schon im Vorfeld des Streiks habe die Geschäftsführung Unverständnis für den Arbeitskampf geäußert.

 

Auf Anfrage teilt der Geschäftsführer der Medienholding Süd, Herbert Dachs mit, dass Geschäftsführung und Betriebsrat schon länger über Vergütungsgrundsätze für die Zeitungsgruppe Stuttgart (ZGS) spreche. Zu den Inhalten der Gespräche habe man Vertraulichkeit vereinbart. Aber: „Für Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften sieht die Geschäftsführung bisher keinen Anlass“.

 

Hohe Streikbereitschaft

Rund 100 Beschäftigte von insgesamt etwa 350 Angestellten nahmen laut Angaben der Gewerkschaft Verdi an der Protestkundgebung vor dem Gewerkschaftshaus in Stuttgart teil. Viele seien wegen der Pfingstferien und wegen des Brückentags ohnehin nicht im Dienst gewesen, war aus Redaktionskreisen zu hören. Die Streikbereitschaft in Stuttgart ist also hoch. Eine Zeitung sei am Streiktag dennoch produziert worden, weil die Chefredaktion sich auf die Notproduktion habe vorbereiten können und im Vorfeld Seiten vorbereitet habe, sagt ein Mitarbeiter.

 

Stein des Anstoßes sind in Stuttgart vor allem die großen Unterschiede bei der Bezahlung innerhalb der Redaktion. Die Belegschaft ist bei zwei unterschiedlichen Gesellschaften angestellt. Beschäftigte der neu geschaffenen ZGS arbeiten laut Gewerkschaft Verdi größtenteils ohne Tarifvertrag und verdienten in Extremfällen bis zu 10.000 Euro pro Jahr weniger als ihre tarifgebundenen Kollegen, die bei einer anderen Gesellschaft angestellt sind, aber die gleiche Arbeit erledigen.

 

Geschäftsführer Herbert Dachs bestreitet das: „Die pauschale Aussage über einen etwaigen Lohnunterschied von bis zu 10.000 Euro ist nicht korrekt.“ Selbstverständlich gebe es – je nach Funktion und Betriebszugehörigkeit – unterschiedliche Gehaltshöhen. „Bei gleicher Tätigkeit und Berufserfahrung gibt es aber keine Gehaltsdifferenz in der genannten Höhe“, so Dachs weiter.

 

Wie groß der Unterschied bei der Bezahlung zwischen Kollegen mit vergleichbaren Tätigkeiten tatsächlich ist, sei je nach Einzelfall sehr unterschiedlich, heißt es aus der Redaktion. Es hänge vom Verhandlungsgeschick der einzelnen Betroffenen ab und sei uneinheitlich und intransparent.

 

„Erosion der Tarifverträge“

Neueinstellungen wolle die Geschäftsführung künftig nur noch ohne Tarifbindung vornehmen, kritisiert die Gewerkschaft. Auch bislang tarifgebundene Stellen bei der „Esslinger Zeitung“, der „Kreiszeitung Böblinger Bote“ und in der Redaktionsgemeinschaft der Stuttgarter Zeitungen sollen im Falle einer Neuausschreibung prinzipiell keine Tarifbindung haben. Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft sei ein Unding, findet Markus Pfalzgraf, Landesvorsitzender des DJV Baden-Württemberg. „Es kann nicht sein, dass Menschen, die im selben Betrieb arbeiten, unterschiedlich bezahlt werden, wenn sie das Gleiche tun.“

 

„So bluten die tarifgebundenen Zeitungsunternehmen langsam aus“, klagt Verdi-Gewerkschaftssekretär Uwe Kreft. „Die Erosion der Tarifverträge ist nicht hinnehmbar“, so der Gewerkschafter weiter. Sie verstoße nicht nur gegen den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, sondern gefährde auch langfristig die Qualität der Berichterstattung. Denn gute junge Leute könnten die Zeitungen nur an sich binden, wenn sie auch gut bezahlten: „Qualitätsjournalismus ist nicht zu Dumpingbedingungen zu bekommen.“

 

Geschäftsführer Dachs macht die schwierige wirtschaftliche Lage für die geänderten Strukturen verantwortlich: „Aus dem Digitalprojekt Regionales Medienhaus 2.0 ist eine komplett veränderte, an die digitalen Herausforderungen angepasste Redaktionsorganisation hervorgegangen.“ Die neu geschaffenen Thementeams seien in der gesamten Branche vielbeachtet worden. Um den „innovativen Weg“ fortzusetzen, werden laut Dachs auch regelmäßig neue Arbeitsplätze mit neuen Stellenprofilen geschaffen. Neue Stellenprofile, die, glaubt man der Gewerkschaft und der Belegschaft, vor allem darin bestehen, nicht mehr an den Tarifvertrag gebunden zu sein.

 

Massiver Stellenabbau

Ziel sei es, ein attraktiver und sicherer Arbeitgeber zu bleiben, so Dachs weiter. Nun lässt sich über Attraktivität bekanntlich streiten. Jüngere Mitglieder der Redaktion berichten im Gespräch mit dem KNA-Mediendienst durchaus von den eigenen Zweifeln: „Es treibt viele in der Redaktion um, wie man die jungen Menschen halten kann.“ Wer eine dauerhafte Perspektive suche und vielleicht eine andere berufliche Option habe, für den sei die Arbeit in der Redaktion weniger attraktiv, weil das Gehaltsgefüge intransparent sei, jede Erhöhung mühsam einzeln verhandelt werden müsse und die betrieblich geförderte Altersvorsorge über das Presseversorgungswerk nicht mehr gezahlt werde. „Es sind in den vergangenen Monaten und Jahren Menschen gegangen, die man gerne gehalten hätte. Das hat Spuren hinterlassen und sorgt für Verunsicherung“, heißt es aus der Redaktion.

 

Gegangen seien aber oftmals auch die älteren Kollegen, sagt ein anderes Redaktionsmitglied. Kollegen, die mit der Entwicklung des Hauses hadern. Im Zuge der Initiative „Regionales Medienhaus 2.0“ seien massiv Stellen abgebaut worden. Die klassischen Ressorts wurden aufgelöst, die Redaktion arbeiten jetzt in Themen-Teams zusammen. Prinzipiell finden das System nicht alle schlecht, doch der Abbau von Stellen habe weggetan.

 

Eine Entwicklung, die man schon befürchtet habe, als die „Stuttgarter Zeitung“ und die „Stuttgarter Nachrichten“ vor einigen Jahren weitestgehend zusammengelegt wurden, berichtet der DJV-Landesvorsitzende Pfalzgraf: „Der Mutterkonzern, die Südwestdeutsche Medienholding, ist ein auf Effizienz getrimmtes Unternehmen. Wir hatten von Anfang an Sorge, dass hier in Stuttgart viele Stellen wegfallen könnten.“

 

Tendenzschutz verhindert Transparenz

Zumal Gewerkschaften und Betriebsrat wegen des Tendenzschutzes nicht nachvollziehen können, ob es den Zeitungen wirklich so schlecht geht wie behauptet. Tendenzbetriebe müssen sich, was ihre wirtschaftliche Lage anbelangt, weniger genau in die Karten schauen lassen als andere Unternehmen, erklärt der Betriebsratsvorsitzende Michael Trauthig, im Gespräch mit dem KNA-Mediendienst. „Wir können nicht überprüfen, ob es nicht doch möglich wäre, alle Beschäftigten nach Tarif zu bezahlen“, so Trauthig weiter.

 

Um weiter Qualitätsjournalismus machen zu können, brauche man gute Journalisten, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Die bekomme man nur, wenn man sie gerecht bezahle. Verdi-Sekretär Kreft verlangt vom Arbeitgeber, jetzt rasch Verhandlungen aufzunehmen. Andernfalls seien weitere Streiks unvermeidlich.