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„Süddeutsche Zeitung“-Chef: „Chefredaktion hat meinen vollen Rückhalt“

Die „Süddeutsche Zeitung“ war jüngst ungewöhnlich häufig selbst in den Schlagzeilen. Was sagt ihr Verlagschef dazu − und wie sieht die Zukunftsstrategie einer der bekanntesten deutschen Zeitungen aus?

München (dpa) − Wie lange wird es die „Süddeutsche Zeitung“ gedruckt geben? Wie steht es um das Image des Blattes nach Vorwürfen gegen die Chefredaktion? Verlagschef Christian Wegner geht darauf im Interview der Deutschen Presse-Agentur ein. Er nennt auch ein neues Datum, wann das Haus seine Kosten komplett aus Erlösen im Digitalen abdecken will.

 

Es ist viel vom Ende der gedruckten Zeitungen die Rede. Wann erscheint die letzte gedruckte „Süddeutsche Zeitung“?

Christian Wegner: Das dauert noch lange. Die Printausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ ist profitabel und hat eine loyale Anhängerschaft. Solange wir Nachfrage haben, drucken wir weiter. Einer unserer Vorteile ist, dass wir hier in München eine eigene Druckerei haben und nicht von anderen abhängig sind. Ich muss aber auch sagen: Wir verlieren etwas mehr Printkunden als früher. Vor Jahren waren es jährlich rund 5 Prozent, jetzt sind es eher 8 bis 9 Prozent.

 

Warum kündigen die Abonnenten?

Leider versterben manche. Andere kündigen, weil sie nicht genügend Zeit haben, um alles zu lesen. Es gibt Leute, die zur Digitalausgabe wechseln. Ein Teil unseres digitalen Wachstums, wenn auch ein geringer, kommt aus dem Rückgang der gedruckten Zeitung.

 

Die „SZ“-Redaktion zog vor fast einem Jahr Kritik an ihrer inzwischen preisgekrönten Berichterstattung rund um die Flugblatt-Affäre von Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger auf sich. Es soll Leute gegeben haben, die deshalb ihr Abo gekündigt haben .

Es gab ein paar Protest-Kündiger, das stimmt, aber viele von ihnen sind wieder Abonnenten. Das gibt es häufiger, dass Leserinnen und Leser, wenn ihnen eine bestimmte Berichterstattung nicht gefällt, ihr Abonnement kündigen. Langfristig haben diese Kündigungen keine Auswirkungen.

 

In den vergangenen Monaten war die „Süddeutsche Zeitung“ selbst ungewöhnlich häufig in den Schlagzeilen. Ist das Image angekratzt?

Von den Daten her: eindeutig nein. Bei Umfragen mit Leser-Feedback, Marktforschung und Mitarbeiterumfragen gibt es keinen Knick. Und wir wachsen digital schneller als andere. Doch natürlich ist eine kritische Berichterstattung nicht gut für die Marke. Deshalb werden wir wieder aktiver kommunizieren, weil wir vermeiden möchten, dass die Wahrnehmung zu einseitig wird.

 

Die „SZ“-Chefredaktion stand in Berichten über Ihre Zeitung immer wieder im Fokus − ob deren Führungsstil und Kommunikation noch zeitgemäß sind.

Die Chefredaktion hat meinen vollen Rückhalt. Aber natürlich ist nicht alles falsch, was geschrieben wurde. Wir haben ein paar Themen, wie zum Beispiel die Kommunikation und wie wir als Team noch offener zusammenarbeiten. Daran arbeiten wir.

 

Was Ihnen immer wieder vorgehalten wird, sind Abgänge auch prominenter Journalisten, die zu anderen Häusern wechseln. Diese Wechsel wirken wie eine Misstrauenserklärung an Redaktions- und Unternehmensleitung.

Das sehe ich anders. Die „SZ“ hat hervorragende Journalisten und Mitarbeiter. Wir bilden sehr gut aus, die Besten kommen zur „SZ“. Dass wir da Abwerbungen haben, ist klar. Insgesamt liegen die Fluktuationswerte normal im unteren einstelligen Bereich, auch wenn es zuletzt eine unschöne Häufung gab und ich bei vielen gerne gehabt hätte, wenn sie geblieben wären. Für jeden Einzelfall gibt es eine Erklärung. Und natürlich hat die Transformation auch Auswirkungen auf unsere Unternehmenskultur. Beides schauen wir uns an. Ein strukturelles Problem in der Redaktion haben wir nicht.

 

Die Chefredaktion hatte in einem Fall, bei dem es um Vize-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid und Plagiatsvorwürfe gegen ihre journalistische Arbeit gegangen war, für besonderes Aufsehen gesorgt. Nachdem interne Informationen aus einer Redaktionskonferenz nach außen gedrungen waren, ließ die Chefredaktion abgestimmt mit dem Betriebsrat Daten zu E-Mail- und Telefonverbindungen ihrer Mitarbeiter durchforsten. Waren Sie involviert in die Entscheidung, nach dem Maulwurf suchen zu lassen?

Ich wusste es. Und auch wenn so etwas grundsätzlich auch in anderen Firmen möglich ist, würden wir das beim nächsten Mal nicht mehr so machen. Das hat auch die Chefredaktion schon gesagt.

 

Sie haben angekündigt, dass Frau Föderl-Schmid, die Fehler eingeräumt hat, aber von Gutachten auch bei den Plagiatsvorwürfen etwa zu ihrer Doktorarbeit entlastet wurde, wieder in die Redaktion zurückkehren soll − steht dieses Angebot noch?

Wir sind in Gesprächen mit ihr dazu.

 

Vor Jahren riefen Sie das Ziel aus, dass sich die „Süddeutsche Zeitung“ samt dazugehöriger Verlag bis 2030 komplett aus Digital-Erlösen mit Abos und Werbung finanzieren sollen. Bleibt es dabei?

Dabei bleibt es und wir verlegen das Ziel nach vorne auf das Jahr 2028. Nach einer Potenzial-Schätzung können wir etwa 500.000 Abonnenten mit unseren digitalen Angeboten erreichen. Heute haben wir 280.000 Digital-Abos. 2028 wollen wir mindestens um die 400.000 haben. Unsere Digital-Erlöse bestehen zu rund 85 Prozent aus Abos und zu rund 15 Prozent aus Werbung. Wie alle Presseverlage haben wir in den letzten fünf Jahren deutlich an Print-Auflage verloren, und zwar um die 40.000 Vollpreis-Abos. Auf der anderen Seite haben wir auch über 200.000 Digital-Abos gewonnen. In Summe Print und Digital haben wir am Wochenende jetzt fast 450.000 zahlende Abonnentinnen und Abonnenten.

 

Steht eine neue Sparrunde bei der „SZ“ an?

Es gibt kein Sparprogramm. Wir haben die Transformation hin zu mehr Digital in den vergangenen fünf Jahren bei nun geringeren Kosten geschafft. Wir haben weniger Papier-, Druckerei- und Energiekosten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir in den vergangenen zwei Jahren rund zehn Prozent Personal abgebaut haben, die meisten davon aus den Bereichen Druck und Logistik. Die digitalen Bereiche haben wir aufgebaut, die Redaktionen blieben in etwa konstant. Insgesamt arbeiten im Verlag und in der Redaktion zurzeit rund 1100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Unsere große Herausforderung bei der Transformation ist, dass wir Budgets und Kapazitäten umschichten müssen. Denn für die neuen Wachstumsthemen nutzen wir interne Kapazitäten. Dieser Veränderungsprozess wird noch etwa fünf Jahre dauern. Die Hälfte davon haben wir bereits hinter uns und ganz gut abgeschlossen.

 

Wie süddeutsch ist die „Süddeutsche“? Sind Sie regional oder überregional erfolgreich?

Beides. In Bayern haben wir neben dem überregionalen Teil noch das Angebot aus München und der Region. Die Durchdringung in Bayern ist hoch. Wir wachsen überall in Deutschland, hauptsächlich in Großstädten. Zwei Drittel unserer Leserinnen und Leser kommen aus Bayern und Baden-Württemberg.

 

Es gibt Zeitungshäuser, die nicht mehr in jedes Dorf zustellen, weil es sich nicht rechnet. Im Osten gibt es erste Beispiele. Stellen Sie die Zeitungszustellung auch mancherorts ein?

Nein. Jeder, der die „Süddeutsche“ lesen will, bekommt eine Zeitung von uns. Aber wir beobachten das natürlich. Die Zustellung in dicht besiedelte Gebiete ist finanziell und vom Angebot der Zusteller her einfacher. In regionalen, ländlichen Bereichen mit wenig Durchdringung ist es schwieriger, weil es teurer wird.

 

Sie sind in den Markt mit Newsletter-Geschäft für Fachpublikum eingestiegen. Wie läuft das?

Das läuft besser, als wir dachten, auch wenn es für uns noch ein junger Markt ist. Wir haben uns vorgenommen, rund 1000 Vollpreis-Abonnenten pro Newsletter zu haben. Perspektivisch, vermute ich, werden nur zwei bis drei Wettbewerber im Markt erfolgreich sein, weil es eine spitze Zielgruppe ist.

 

Es gibt einige Medienhäuser, die keine Werbeanzeigen von der AfD annehmen. Wie hält es die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), der Sie auch vorsitzen?

Wir haben für uns entschieden, dass wir keine Anzeigen von Parteien annehmen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

 

Wie lange läuft Ihr Vertrag noch?

Es gibt kein definiertes Vertragsende. Die Arbeit hier macht mir sehr viel Spaß. Mich motiviert, alle SWMH-Verlage in die Situation zu bringen, dass sie ihren eigenen Journalismus digital und somit langfristig finanzieren können.

 

ZUR PERSON: Christian Wegner ist seit 2018 Geschäftsführer der Südwestdeutschen Medienholding GmbH. Seit Oktober 2021 ist der 50-Jährige zudem Chef des zur Holding gehörenden Süddeutschen Verlags. Der Manager war zuvor viele Jahre für den TV-Konzern ProSiebenSat.1 tätig, darunter saß er im Vorstand. Wegner wurde in Bad Homburg geboren. Er war nach dem BWL-Studium und während seiner Promotion als Projektmanager für das Beratungsunternehmen McKinsey & Company tätig.