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Turner antwortet Bergmann: Warum soll es in Sprockhövel keine journalistischen Startups geben?

Turner antwortet Bergmann: Warum soll es in Sprockhövel keine journalistischen Startups geben? Sebastian Turner (Foto: Table Media)

Die leidenschaftliche Debatte über Subventionen von Regionalzeitungen geht weiter. Table-Media-Gründer Sebastian Turner hat für kress.de einen Brief an Stefan Bergmann, Digitalchef des „Ostfriesischen Kuriers“, verfasst.

Berlin – Die Debatte über Subventionen von Regionalzeitungen geht weiter. Table-Media-Gründer Sebastian Turner schreibtan Stefan Bergmann, Digitalchef des „Ostfriesischen Kuriers“:

 

Lieber Herr Bergmann, hallo Ostfriesland!


Vielen Dank, dass Sie sich mit meinem Vorschlag auseinandergesetzt haben, mögliche staatliche Fördermittel für den Lokaljournalismus besser für Neugründungen und Innovationen zu nutzen und nicht - wie von den Verlagen gefordert - für die Zustellung.

 

In Ihrer auf kress.de erschienen Replik gehen Sie teilweise auf Argumente von mir ein, teilweise sprechen Sie sich auch gegen Dinge aus, die ich in meinem Text weder erwähne noch meine. Im Sinne einer sich entwickelnden Diskussion soll das aber keine Rolle spielen. Ich gehe Ihre Argumente gerne Punkt für Punkt durch.

 

Sie schreiben, ich forderte, es sollen junge, wilde Startups gefördert werden. Das ist Ihre Deutung, die Vorbilder, die ich nenne, sind nicht wild und die Gründer eher in den Fünzigern – jung und wild ist nach meinem unvollständigen Eindruck eigentlich nur die Gründung in Mecklenburg-Vorpommern – was Ihrer Aussage, mein Modell sei eine einseitige „Elitenförderung“ in Metropolen nicht unbedingt stützt.

 

Sie schreiben, ich hielte traditionelle Verlage nicht für zukunftsfähig. Das ist falsch. Ich halte sie nicht für subventionsbedürftig. Sie bieten hervorragende Innovationsmöglichkeiten aus eigener Kraft, wie ich in meinen Jahren beim Tagesspiegel lernen durfte.

 

Sie schreiben, die Markteintrittshürden seien auch für digitale Lokaljournalismus-Neugründungen hoch. Man könnte Ihr Argument leicht gegen die Zustellungs-Subvention wenden. Wenn die Kosten der Print-Produktion und -Distribution gar nicht so entscheidend sind, warum fordern Sie dann dafür staatliches Geld? Der Kostenvorteil von Journalismus ohne Papier, Druck und Logistik ist enorm. In Berlin sagte ein Zeitungsveteran, es seien Abermillionen D-Mark und Euro in gedruckte Wechselseiten für die Stadtteile gesteckt worden - und alle wieder eingestellt. Der Tagesspiegel hat es dann schlank digital versucht und erreicht jetzt auf diesem Weg jede Woche 300.000 Empfänger allein mit seinen Bezirksnewslettern, fast das Zehnfache der verkauften Druck/E-Paper-Auflage von Morgenpost oder Berliner Zeitung und das Dreifache der Tagesspiegel-IVW-Auflage. Die Marktzutrittskosten waren gering. Wenn Ihnen das zu „jung und wild“ ist, dann lohnt der Blick in die Prignitz - dagegen ist Ostfriesland strukturstark. In der Prignitz hat das Traditionshaus Madsack im Zuge der Umstellung auf rein-digital die Zahl der regelmäßigen Empfänger um rund 50 Prozent erhöhen können. Möglicherweise ist Madsack aber auch jünger und wilder, als man denkt. Auch der Hinweis auf den hohen IT-Aufwand scheint mehr auf die bestehenden Häuser und nicht auf Startups zuzutreffen. Plattformen wie Steady (Disclosure: an der ich beteiligt bin) und Substack sind bereits zugeschnitten und günstig.

 

Überhaupt nicht nachvollziehen kann ich Ihr Argument, mehr Neugründungen im Lokaljournalismus seien „Elitenförderung“. Ihr Beleg, die gedruckten Zeitungen erreichten heute (erfreulicherweise!) noch große Teile der Bevölkerung, belegt bei genauerer Betrachtung das Gegenteil. Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts fällt die Zahl der jungen Zeitungsleser. Die Jungen erreichen Sie kaum per Printzustellung, ganz gleich ob subventioniert oder nicht. Tatsächlich ist das Gegenteil Ihres Argumentes richtig: Auch weil Zeitungen beachtliche Abopreise aufrufen, werden sie von den Wohlhabenderen gelesen. Wenn Sie daran zweifeln: Lesen Sie Ihre eigenen Anzeigenverkaufsunterlagen. Demnach käme eine Zustellförderung eher den „Eliten“ als den weniger Begüterten zugute. Ein zutreffendes Argument in Ihrem Sinne ist die Betrachtung des Alters der Leser.

 

Bei der „Sächsischen Zeitung“ gibt es ein „Chart der Stille“: Wenn es gezeigt wird, verstummt das Publikum. Es dokumentiert das Durchschnittsalter der Print-Neubesteller und deutet an: die gedruckte Zeitung gönnt man sich zum Berufsausstieg. Dieses starke Argument für die Printzustellung verwenden Sie gar nicht: Ohne Print werden vor allem ältere Leser im siebten Lebensjahrzehnt und darüber nicht mehr erreicht. Natürlich dürfen wir sie nicht abhängen. Da diese Gruppe nicht mehr berufstätig morgens das Haus verlassen muss, könnte ihnen die Zeitung statt mit teuren eigenen Boten vor 7.30 Uhr auch im Lauf des Tages mit der Post gebracht werden - zu günstigen Stückkosten, wenn der Bund als Aktionär sich das wünscht. Das wäre eine sinnvolle Forderung, die die Bundesregierung sofort aufnehmen könnte.

 

Auch dem nächsten Argument möchte ich widersprechen: Neugründungen könne es auf dem flachen Land „niemals geben“. Sie nennen Sprockhövel. Warum? Warum soll es unter den 24.000 Einwohnern von Sprockhövel keine Gründer geben? Dort wurden der Ruhrbergbau, das größte symphonische Blasorchester der Region und die größte gewerkschaftliche Bildungsstätte Deutschlands gegründet. Das hört sich nach einer alphabetisierten Zivilisation an, der auch das Verfassen von journalistischen Newslettern zuzutrauen ist. Als gebürtiger Clausthaler (Harz) und zeitweiliger Bürger von Heide/Holstein und Eberswalde/Barnim frage ich mich, wo bleibt der weite Horizont der Ostfriesen, gerade die müssten doch wissen, dass man das flache Land nicht unterschätzen soll.

 

Bleibt Ihr letztes Argument. Sie zitieren die „Zeitung für Journalismusforschung“ 3/2019 mit den folgenden Worten: „Die Illusion eines objektiven Journalismus wird durch einen Journalismus mit Haltung und Persönlichkeit abgelöst.“ Ihre Deutung: dies „demaskiere“ die Zeitungsneugründer als „Aktivisten“. Zunächst einmal hält das Zitat den bestehenden Zeitungen den Spiegel vor und sagt, es sei eine Illusion, dass ihr Journalismus objektiv sei. Ich halte das für übertrieben – aber es ist kein Argument gegen Neugründungen, sondern eines für professionelle journalistische Neugründungen.

Das ist der Bogen zu meiner zentralen Forderung. Wir haben heute gerade in der Fläche bestenfalls lokaljournalistische Monopolanbieter. Wenn der Staat Mittel gibt, dann bitte nicht für Verfestigung dieses Zustandes, sondern für mehr publizistische Vielfalt. Das ist heute möglich, weil die Marktzutrittskosten so gering sind. Was vor allem fehlt: Unternehmerische Journalisten. Die aus- und weiterzubilden ist mein Vorschlag. Das würde auch den Lokalverlagen zugute kommen, wenn sie diesen Typus fördern und für sich gewinnen.

 

Mein Vorschlag, schreiben Sie, sei „eine Schnapsidee“. Was für Ideen Schnaps hervorbringt, das sollten wir gemeinsam herausfinden. Ich lade Sie nach Berlin ins Table.Media Café ein – auf ein „Harzer Grubenlicht“.